Homöopathie Zeitschrift

Homöopathie Zeitschrift – Heft II / 06
Homöopathie Zeitschrift – Heft I / 07
Homöopathie Zeitschrift – Heft II / 07

Bitte beachten: Die Arzneimittelbeschreibungen in den folgenden Artikeln dienen dem wissenschaftlichen Austausch unter Homöopathen und nicht der Selbstmedikation.


Homöopathie Zeitschrift – Heft II / 06

Neugeborene homöopathisch behandeln – Gedanken und Erfahrungen aus der Praxis

Jeder neue Mensch möchte beim Eintritt in dieses Leben von seinen Eltern und Geburtshelfern willkommen geheißen, verstanden und liebevoll umsorgt sein. Verhaltensauffälligkeiten wie Schreianfälle sowie Krankheiten sind die Folge, wenn wir das Neugeborene beim Übergang vom intrauterinen in das extrauterine Leben nicht verstehen! Bleiben seine instinktiven Signale, die es zur Bedürfnisbefriedigung als nonverbale Kommunikationsmöglichkeit einsetzt, unbeantwortet, werden sie ignoriert oder übersehen, fühlt sich dieses empfindsame Wesen einsam und verlassen.

Mit den Wehen erlebt das Baby Enge, Ohnmacht, Todesangst, Schmerz, Verlassenheit, Verzweiflung – mühsam zwängt es sich durch die Enge des Geburtskanals auf seinem Weg in die Welt. Es hat keinen Einfluss auf die Bedingungen, in die es hineingeboren wird: Ist die Hebamme bei der Hausgeburt rechtzeitig zur Stelle? Wird die Mutter während der Geburt optimal und liebevoll begleitet oder ist der Kreißsaal gerade überbelegt und es herrschen Hektik und Unruhe? Ist die Beziehung der Eltern gut oder gibt es selbst unter der Geburt Spannungen zwischen Mutter und Vater? Sind die Wehen stark genug, liegt das Kind richtig? Oder braucht es im letzten Moment doch noch die Zange, die Saugglocke, den Kaiserschnitt?

So viele nicht vorhersehbare Zwischenfälle können bei einer Geburt eintreten und zeigen deutlich, wie ungewiss der Ausgang dieser Loslösung von Mutter und Kind ist. Auch das Schicksal hat bei diesem Übergang die Karten in der Hand! Als stumme Zeugen stehen wir helfend dabei und tun unser Bestes, damit das neue, junge Leben eine vertrauensvolle Grundlage bekommt.

Wege in die Welt

Den Bedürfnissen der Neugeborenen müssen wir Rechnung tragen! Sie sollen mit Freude willkommen geheißen werden. Auf allen Ebenen müssen wir sie sättigen und umsorgen, damit sie glückliche Kinder und suchtfreie Erwachsene werden. Ein Neugeborenes versteht jedes Wort mit seinen Sinnen und mit seinem Herzen. Es nimmt ganzheitlich wahr und reagiert auf jede Geste entweder mit Spannung oder Entspannung, die wir an seinem Gesicht oder Körper ablesen können. Es nimmt mit seiner ganzen Instinktnatur wahr und hat noch nicht gelernt, seine Gefühle zu verdrängen, um überleben zu können und sich den Erwachsenen anzupassen.

Das Neugeborene erwartet ganz selbstverständlich, dass ihm bedingungslose Liebe entgegengebracht wird. Es fordert sozusagen sein Erbrecht ein. Direkt nach der Geburt findet der erste Bindung schaffende Kontakt zwischen dem Neugeborenem und seiner Mutter statt. Bonding (engl. Bindung) wird dieser wichtige Moment genannt. Diese Begegnung vollzieht sich über den Hautkontakt und die Augen. Gleich nachdem das Kind den Mutterleib verlassen hat, schaut es mit einem langen intensiven Blick die Mutter an, während es an ihrer Brust liegen sollte, damit es nach dem anstrengenden Geburtsprozess genährt und getröstet werden kann. Wird dieser wichtige Moment verpasst oder gestört, ist das Neugeborene und auch seine Mutter irritiert. Wenn das Baby die Geburt ohne Probleme überstanden hat, in ein fürsorgliches, liebevolles Feld eintauchen kann, in dem all seine Bedürfnisse erfüllt wurden, lebt es nur in seiner Wahrnehmung. Es muss keine Gefühle verdrängen oder abspalten. Wenn es von der Umwelt als das empfindsame und zerbrechliche Wesen wahrgenommen und behandelt wird, fühlt es sich wohl und kann langsam in das Leben hinein erwachen. Und wenn die Erwachsenen die Signale des Neugeborenen richtig verstehen, wird es ohne viel Schreien groß werden können, vorausgesetzt, eine liebevolle, stressfreie, fürsorgliche Atmosphäre in der Familie nährt es emotional.

Probleme unter der Geburt

Ist die Geburt aber problematisch oder wird das Neugeborene nach den Anstrengungen der Geburt nicht mit Liebe und Geborgenheit empfangen, ist es irritiert und reagiert mit Schreien. Wenn es durch eine herzlose und medizinische Versorgung den Kontakt zur Mutter verliert, hat sein Vertrauen einen ersten Bruch bekommen. Die Signale des Babys werden lauter. Das Neugeborene fühlt sofort, wenn auf seine Signale nicht entsprechend geantwortet wird und reagiert mit Wut und Trotz und schreit lauter. Erschöpft und mit Gefühlen größter Verlassenheit schläft das Baby irgendwann ein. Auch Wut und Trotz bringen keine Erlösung für die ungestillten Bedürfnisse. Das Baby spürt sich selbst nicht mehr. Etwas an ihm muss falsch sein, weil auf seine instinktiven Bedürfnisse nicht geantwortet wird. Jetzt entstehen möglicherweise Gefühle von Minderwertigkeit und Selbsthass. Das Baby muss nun alle unangenehmen Gefühle verdrängen, um überleben zu können, und es passt sich an. Das Baby vermeidet den Kontakt mit tieferen Gefühlsschichten und lebt nur noch in einer oberflächlichen Welt, in der die Verdrängung schmerzhafter Gefühle befürwortet wird. Manchmal bricht die Schicht von Wut und Trotz durch, aber der Säugling hat schon längst den Kontakt zur inneren Wahrheit seiner Gefühle verloren und reagiert mit Verhaltensauffälligkeiten und Krankheit.
Dass die Erwachsenen die Sprache des Neugeborenen nicht verstehen, führt zu den häufigsten Problemen in der Neugeborenenperiode.

Das Neugeborene

Als Neugeborenenperiode beschreiben wir die Zeit von der Geburt bis zur Umstellung des kindlichen Organismus auf die extrauterine Umgebung. Normalerweise braucht das Baby dafür vier Wochen. Wenn wir ein Neugeborenes in dieser Zeit homöopathisch erfolgreich behandeln wollen, müssen wir in der Anamnese zuerst die Lebensgeschichte der Mutter mit all ihren vorangegangenen Schwangerschaften, Fehl- und Totgeburten, Abtreibungen, Schockerlebnissen und Traumata durchleuchten.
Wie ein roter Faden scheinen schicksalhafte Lebensumstände im Familiensystem weitergegeben zu werden.
Erst danach befassen wir uns mit der jetzigen Schwangerschaft, den Umständen unter der Geburt, der Beziehung zwischen den Eltern, dem Familiensystem mit den Geschwistern und der Familiengeschichte. Ein Neugeborenes ist kein unbeschriebenes Blatt. Seine Seele ist unter anderem gewoben aus den Gefühlen von Mutter und Vater während der Schwangerschaft. Ein unsichtbares Band verbindet es auch mit seinen Vorfahren, denn es tritt ein Erbe an, das wir als Homöopathen zu verstehen haben, sonst scheitern wir bei der Behandlung des neuen Menschen.

Beziehung zwischen Mutter und Kind

Eine gute Beziehung zwischen Mutter und Kind ist unsere größte Hilfe. An den Informationen, welche die Mutter uns über ihr Neugeborenes gibt, können wir die Innigkeit der Beziehung zwischen diesen zwei Menschen erkennen. Wir müssen bedenken, dass auch die junge Mutter das Neugeborene erst kennen lernen muss. Befindet sich die Mutter wegen einer traumatischen Geburt selbst noch in einem Schockzustand, kann es sein, dass die emotionale Bindung zum Kind nicht wirklich stabil ist oder dass diese durch eine zu schnelle Trennung nicht stattfinden konnte. Damit ein Neugeborenes sich gut entwickeln kann, braucht es in erster Linie in der Neugeborenenperiode und natürlich auch danach den bedingungslosen Schutz und die Liebe durch die Eltern. Dadurch kann sich seine Seele entfalten, genauso, wie seine Lungen sich mit dem ersten Atemzug durch die Umgebungsluft entfalten. Problematisch ist hier, dass leider manchmal auch die Eltern und Geburtshelfer in ihrer Neugeborenenperiode und auch im späteren Leben nicht verstanden worden sind und darum das Baby oft nicht wirklich verstehen können. Hier gilt es, Aufklärungsarbeit zu leisten und unsere Wahrnehmung zu schulen. Wir ignorieren in der Beobachtung des Neugeborenen das, was wir nicht kennen, wir übersehen, was uns unbekannt ist.

Das Kind ist unter der Geburt genauso wie in der Schwangerschaft an die Gefühle seiner Mutter gebunden. Hat die Mutter Todesangst, wird auch das Kind Todesangst haben. Wird die Mutter vor Schmerzen wahnsinnig, ist dieser Schmerz auch für das Kind fühlbar. Der Kontakt, der zwischen Mutter und Kind wie ein unsichtbares Band besteht, reißt unter der Geburt oft ab, weil die Mutter vor allem mit sich selbst beschäftigt ist und oft in der bodenlosen Tiefe eines nie gekannten Schmerzes versinkt. Das Baby spürt, wenn dieser Kontakt abbricht. Es fühlt sich schnell im Stich gelassen, hat Angst zu sterben und befindet sich natürlich auch in der Enge des Geburtskanals in einem Kampf um das Überleben. Wenn wir uns die Gesichter von Neugeborenen beim Durchtritt des Kopfes anschauen, dann können wir den Schmerz und die Verzweiflung sehen, mit der sie allein um ihr Leben gerungen haben. Eine verlängerte, komplizierte Geburt, Sauerstoffmangel, Kaiserschnitt, Narkotika oder Schmerzmedikamente, Verletzungen am Kopf durch Kopfschwartenelektrode, Zange, Skalpell oder Saugglocke, Trennungen von der erschöpften Mutter, liebloser Umgang beim Absaugen oder bei den Untersuchungen erschweren, dass das Baby sich in dieser Welt zu Hause fühlt.

Angst zu sterben

Mit ein wenig Erfahrung können wir die Angst des Babys zu sterben wahrnehmen („Gemüt – Wahnideen – sterben – gleich sterben; man würde gleich“). Wir finden in dieser Rubrik die wichtigsten Mittel für die Neugeborenenperiode, wobei Aconitum natürlich in seiner Häufigkeit im Gebrauch für Neugeborene nach schwierigen Geburten und Sauerstoffmangel an erster Stelle steht und auch unter der Rubrik „Gemüt – Wahnideen – sterben – gleich sterben; man würde gleich – Entbindung; während der“ als einziges Mittel zu finden ist. Befindet sich die Mutter unter der Geburt in einem Aconitum-Zustand, kann es sein, dass das Kind nach der Geburt ebenfalls Aconitum braucht. Dieses Mittel gebe ich den Eltern immer mit in den Kreißsaal. Wenn die Geburt schwierig war und das Baby sehr blau und unruhig ist, wirkt Aconitum Wunder. Die Eltern berichten immer wieder voller Freude, wie schnell sich das angestrengte, ängstliche Baby nach Gabe des Mittels entspannt. Bekommt das Baby nach einer schweren Geburt kein Aconitum, kann sich die Angst vor Enge im Leben immer wieder zeigen. Eine weitere Delusion von Aconitum ist, dass der Kopf zu groß ist („Gemüt – Wahnideen – Kopf – groß – zu groß“). Das Baby kann nicht durch den Geburtskanal durchtreten, weil es sich anfühlt, als ob sein Kopf zu groß sei. Daraus entstehen Todesangst und das Gefühl, sterben zu müssen. Nach meiner Erfahrung brauchen die Kinder nach langen, traumatischen Entbindungen mehrere Mittel, um die schwierigen Gefühlszustände auflösen zu können.

Bei Klinikentbindungen halte ich mich mit der homöopathischen Behandlung zurück. Sehr viele Hebammen arbeiten schon mit Homöopathie und wenn ich nicht selber von der Mutter zu einer Geburt als behandelnde Homöopathin dazugerufen werde, überlasse ich dieses Revier der begleitenden Hebamme. Die Eltern informieren mich über die Geburt und vereinbaren einen Anamnese-Termin mit dem Neugeborenen, falls es Probleme gibt.

Störungen bei Neugeborenen

Anamnese
Beim ersten Kontakt mit diesem neuen Menschen sollten wir besonders umsichtig sein, das Kind in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit stellen, es begrüßen und willkommen heißen. Das Neugeborene reagiert auf uns und die Art unserer Kontaktaufnahme, denn es ist absolut fähig zu beobachten, wahrzunehmen und seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Das Baby wird in jedem Fall auf uns reagieren. Wichtig ist, wie es reagiert, denn das gibt uns wegweisende Symptome.
Auch keine Reaktion ist für uns ein Symptom! Möglicherweise braucht das Neugeborene in diesem Fall Opium.

Erste Kontaktaufnahme
Neugeborene haben ein ganz natürliches Gefühl für ihr Territorium und wenn wir uns ihm zu schnell annähern, wird es zu schreien beginnen. Alle Bewegungen in der Annäherung sollten also langsam sein und es ist wichtig, dass wir dem Neugeborenen Zeit geben, uns in seine Wahrnehmung einzuschließen. Jedes Fehlverhalten des Erwachsenen im Kontakt mit ihm löst eine Reaktion aus. Das Baby reagiert erst nonverbal, indem es z.B. den Kopf wegdreht und erst später, wenn seine feinen Signale nicht gehört werden, schreit es. Die Kontaktaufnahme findet immer über die Augen statt. Ich versuche, nachdem ich das Kind angesprochen habe, in seine Augen zu schauen. Schaut es mich auch an, entsteht ein angenehmes inneres Gefühl, das zeigt, dass wir uns begegnet sind. Dreht es die Augen weg oder weigert es sich, mich anzuschauen, gehe ich immer davon aus, dass es von den Bezugspersonen nicht wirklich verstanden worden ist und mir dieses über die Körpersprache mitteilt.
Um in eine engere Beziehung mit dem Neugeborenen zu gehen, nehme ich das Baby nach Rücksprache mit den Eltern nach einiger Zeit des Gesprächs oder auch erst zum Ende hin in meine Arme. Ich spreche es, bevor ich es zu mir nehme, persönlich an und frage: „Kommst du mal zu mir?“ Dabei schaue ich dem Neugeborenen in die Augen, wenn diese geöffnet sind. Es fühlt sich wohl, wenn ich mich ihm mit meinem ganzen Gesicht zuwende. Sieht es nur mein Halbprofil in der Kontaktaufnahme, dann kann es sein, dass es schreit. Das Baby verlangt unsere ganze Zuwendung! Habe ich es vorsichtig und langsam in meinen Arm genommen, kann ich die Spannung in seinem Körper fühlen und die Symptome direkt über den Körper des Babys spüren. Ich spüre z. B. den wie zum Flitzebogen angespannten Rücken („Rücken – Opisthotonus“) und die Spannung, die durch zuviel Angst noch in seinem Körper ist. Liegt das Baby schwer in meinem Arm, dann ist es angekommen in dieser Welt. Nehme ich es leicht und wie nicht in seinem Körper vorhanden wahr, kann es sein, dass sich ein Teil seiner Seele erschreckt zurückgezogen hat.

Gesichtsausdruck
Auch den Gesichtsausdruck des Babys ziehe ich in meine Beobachtung und die Repertorisation mit ein (z. B. „Gesicht – Ausdruck – ängstlich“), ebenso andere Merkmale wie Stirnrunzeln („Gesicht – Gerunzelt – Stirn, Stirnrunzeln“) oder Kaubewegungen („Gesicht – Kaubewegungen des Kiefers“), häufiges Gähnen, Schluckauf oder Atemgeräusche.
Immer versuche ich, Augenkontakt mit dem Neugeborenen herzustellen. Der Ausdruck seiner Augen lässt mich bis tief in seine Seele schauen. Vermeidet es den Kontakt mit mir, dann weiß ich, dass es schon einen Teil seines Vertrauens in die Welt der Erwachsenen verloren hat, weil diese seine Bedürfnisse nicht verstehen oder erfüllen. Eine erfolgreiche Behandlung heißt für mich nicht nur die Abwesenheit der Symptome, sondern auch die Kontaktbereitschaft des Babys. Sprechen wir in der Anamnese über die Geburt, beginnen die Babys – so ist meine Erfahrung – oft zu weinen, wenn die Geburt traumatisch war. Es ist ihre Art mir mitzuteilen, dass in diesem Bereich immer noch eine Verletzung geheilt werden will. Selbst schlafende Babys werden plötzlich unruhig und erwachen weinend, wenn die Mutter über den Geburtsvorgang spricht.

Verhaltensauffälligkeiten

Bevor wir uns den Krankheiten in der Neugeborenenperiode zuwenden, sollten wir uns mit den Verhaltensauffälligkeiten beschäftigen. Dazu gehören in erster Linie die Schreianfälle. Schreien, vor allem in der Nacht, und Schlaflosigkeit des Babys stören die Eltern empfindlich und bringen sie mit den Neugeborenen häufig in die homöopathische Behandlung. Unser „erstes instinktives Gehirn“ ist im Bauch, dem Sitz unserer Gefühle, die wir, wenn sie übermächtig sind, später mit dem Kopf verarbeiten oder analysieren. Ein gesundes Neugeborenes schreit nur, wenn es nicht oder nicht richtig verstanden wird. Blähungskoliken können meines Erachtens auch im Zusammenhang stehen mit nicht verdauten Gefühlen, die von einer schwierigen Geburt noch im Körper des Neugeborenen stecken und ausgedrückt sein wollen. Angst, Schreck, Verlorenheit, Todesangst – alles, was das Baby an übermächtigen Gefühlen in sich trägt, will durch Trost, Liebe und Geborgenheit heilen.

Marcel – Asphyxie

Die Geburt des kleinen Marcel geht nicht voran. Er wird zu Hause entbunden. Wehen haben am Nachmittag eingesetzt, die Fruchtblase ist gegen 18:00 Uhr geplatzt. Die ganze Nacht hat die Mutter Wehen, die das Kind aber nicht vorwärtsbringen. Das Köpfchen liegt falsch und am frühen Morgen gelingt es der Hebamme, das Köpfchen in die richtige Lage zu bewegen. Dann werden die Herztöne schlechter und die ohnehin schon lange dauernde Geburt wird mit einem Dammschnitt verkürzt. Marcel kommt mit einer blassen Asphyxie auf die Welt („Atmung – Asphyxie – Kindern, Neugeborenen; bei“). Leblos und schlaff. Die Hebamme legt das Baby sofort der Mutter auf den Bauch, massiert Herz und Lunge, saugt den Nasen-Rachen-Raum ab und verabreicht Sauerstoff.

Verordnung: Ich reibe in dieser Zeit Aconitum in der C 200 erst auf seine Haut und gebe es dem Neugeborenen dann nach einigen Minuten in die Wangentasche. Marcel erholt sich rasch und kann daraufhin zum Trinken angelegt werden.

Follow-up: einige Tage nach Aconitum C 200
Einige Tage später ruft die Mutter mich an, weil der Kleine in der Nacht so ängstlich und schreckhaft ist. Er kann nicht in den Schlaf finden und schreit viel. Die Mutter meint, er habe die traumatische Geburt und die Todesnähe noch nicht verarbeitet.
Gemüt – Angst – Schreck – nach: acon. both-ax. Carc. Cupr. dulc. gels. Ign. Kali-br. lyc. Manc. merc. nat-m. op. rob. Sil. vanil. Verat.).
Schlaf – Schlaflosigkeit – Kindern, bei – Neugeborenen, bei: Bell. cham. coff. cypr. op. psor. sulph.
Gemüt – Furcht – Tod; vor dem – drohendem Tod, vor: acon. agn. am-c. arg-n. Ars. asaf. BELL. bry. calc. CANN-I. caps. carc. caust. cimic. Croc. cupr. glon. lach. lat-m. Lob. MERC. nit-ac. nux-v. op. PHOS. ruta sec. sep. staph. v-a-b.

Gerade die Nacht während der Geburt muss für ihn eine schreckliche Situation gewesen sein. Die ganze Schwangerschaft habe sie ihn gut gespürt, hätte einen ausgezeichneten Kontakt zu ihm gehabt, der ihr aber unter der Geburt verloren gegangen sei.
Verordnung: Opium in der C 200 half Marcel, diese erschreckende Situation zu verarbeiten.

Follow-up: drei Wochen nach Opium C 200
Nach drei Wochen zeichnet sich dann Marcels Konstitutionsmittel Natrium phosphoricum deutlich ab. Er ist jetzt fast ein Jahr alt und entwickelt sich prächtig. Opium ist ein sehr häufiges Mittel in der Neugeborenenperiode und folgt sehr gut auf Aconitum.

Marie – Bauchkrämpfe und Schreianfälle

Marie ist das erste Kind einer 34-jährigen Frau. Die Mutter leidet an Bulimie. Die Beziehung zwischen den Eltern ist schwierig, Konflikte werden nicht ausgetragen, der Ehemann flüchtet sich in den Alkohol („Gemüt – Beschwerden durch – Uneinigkeit, Zwietracht – Eltern; zwischen den eigenen“). Die Schwangerschaft war durch den Bau des Eigenheimes und finanzielle Probleme belastet. Die Mutter hat bis kurz vor dem errechneten Termin gearbeitet. Die Geburt ist gut vorangegangen, dann haben jedoch die Wehen aufgehört und es wurde ein Kaiserschnitt unter Vollnarkose gemacht. Marie wurde von der Mutter getrennt und im Kinderzimmer untergebracht. Die Mutter bekam sie erst nach vielen Stunden zu sehen. Nach einem Klinikaufenthalt von acht Tagen wurden beide entlassen.
Die Mutter meldet sich dann bei mir, weil das Baby schmerzhafte Bauchkrämpfe hat und viel schreit. Sie kommt mit dem Baby in die Praxis. Das Neugeborene hat ein sehr unglückliches, verkrampftes, trauriges Gesicht. Die Mundwinkel sind weit nach unten gezogen („Gesicht – Ausdruck – leidend“). Marie windet den kleinen Körper in schmerzhaften Bauchkrämpfen („Abdomen – Schmerz – Kindern; bei – Säuglingen; bei – krampfartig“).
Als ich sie anschauen will, um mit ihr Kontakt aufzunehmen, dreht sie die Augen weg. Sie vermeidet den Kontakt mit mir („Gemüt – Angesehen, angeblickt zu werden – erträgt es nicht, angesehen zu werden – Kindern; bei“).
Verordnung: Marie bekommt Magnesium carbonicum C 200, weil sie sich nach der Geburt durch die Trennung von der Mutter wie ein verlassenes Waisenkind gefühlt haben muss („Gemüt –Wahnideen – verlassen, aufgegeben worden; er sei“). Einige Stunden ohne Mutter sind für das zerbrechliche und schutzlose Wesen wie eine Ewigkeit. Ohne Bindung an die Mutter und deren vertrauten Geruch und Herzschlag fühlt sich ein Kind in dieser Welt völlig verlassen. Die Bauchkrämpfe und das Schreien lassen nach, beim nächsten Termin ist auch ihr Gesichtsausdruck völlig verändert und sie hat einen guten Kontakt mit mir.
Zwei Monate später braucht sie Calcium carbonicum und danach entwickelt sich ihr Konstitutionsmittel Pulsatilla.

Marvin – Bauchschmerzen

Marvin ist das zweite Kind der 32-jährigen Mutter. Sie raucht schon seit vielen Jahren Cannabis und konnte auch in der Schwangerschaft nicht damit aufhören. Durch ihre Lebensgeschichte zieht sich das Verlassenwerden wie ein roter Faden. Ihre eigene Mutter war alkoholabhängig gewesen und hatte sie durch die Sucht früh emotional verlassen. Eltern, die trinken, fühlen nicht, was ihre Kinder brauchen. Jede Sucht ist eine Flucht vor den nicht aushaltbaren Gefühlen, die in diesem Fall durch die soziale Isolation verdrängt werden mussten und für Marvins Mutter auch in der Schwangerschaft nicht aushaltbar waren.
Das Baby ist 10 Tage alt, als die Mutter mit ihm in die Praxis kommt. Sein Gesichtsausdruck ist sehr ernst, schwermütig und sorgenvoll („Gesicht – Ausdruck – finster, düster“). Seine kleinen Händchen sind fest zu Fäusten geballt („Extremitäten – Ballen – Faust; der Hände zur – Kindern; bei – Neugeborenen; bei“), die Hautfarbe ist blass-grau. Marvin scheint Schmerzen im Bauchraum zu haben, schreit immer wieder und lässt sich kaum beruhigen („Gemüt – Schreien – Kindern, bei – Kolik mit“). Nur wenn er ständig herumgetragen wird, beruhigt er sich etwas („Gemüt – Beruhigt werden, kann nicht – getragen wird; nur wenn er“).
Verordnung: Ich gehe davon aus, dass Marvin Entzugserscheinungen hat („Gemüt – Empfindlich – Drogen; durch“) und verordne Chamomilla in der C 200. Er braucht Chamomilla in den folgenden acht Wochen in unterschiedlichen Abständen vier bis fünf mal. Dann zeigt sich ein deutliches Bild von Calcium carbonicum. Chamomilla ist ein bewährtes Mittel bei Missbrauch von Drogen und Entzugserscheinungen.

Teo – Blähungskoliken, Torticollis

Teo leidet an Blähungskoliken („Abdomen – Flatulenz – eingeklemmte Blähungen“) und hat einen Schiefhals. Der Schiefhals („Äußerer Hals – Torticollis“), der nach rechts gebogen ist, ist deutlich sichtbar. Weiterhin muss Teo oft aufstoßen und die Nahrung läuft aus dem Mund („Magen – Aufstoßen; Art des – Speisen; von – Mund füllen; in Portionen, die den“). Während der Schwangerschaft hatte der betreuende Gynäkologe der Mutter gesagt, dass das Kind behindert sein könnte, weil der Tripel-Test positiv war („Beschwerden durch Schreck“). Die Mutter hatte mit dem betreffenden Arzt eine heftige Auseinandersetzung, weil sie eine Fruchtwasserpunktion ablehnte („Beschwerden durch Grobheit anderer“). Vermutlich hatte Teo deshalb viel Stress im Mutterleib. Die Mutter hatte während der gesamten Schwangerschaft und noch während der Geburt Angst, dass Teo behindert sein könnte.
Bei der Fallaufnahme erzählt die Mutter Folgendes: „Die Geburt war grausig, ich hatte Angst, in die Klinik zu gehen. Der Muttermund war schon offen, dann bin ich mit meinem Mann in das Krankenhaus gefahren. Dort hatte ich zunächst keine Wehen und ich wollte schon wieder nach Hause, als es losging. Ich hatte Angst, dass Teo behindert sei. Er war sehr blau („Wahnidee: glaubt er müsse gleich sterben“). Mein Mann dachte, er wäre farbig. Vier Stunden nach der Geburt sind wir dann wieder nach Hause gegangen.“
Seit Jahren gibt es Konflikte mit der Schwiegermutter. Die Mutter ist aus der Stadt zu den Schwiegereltern aufs Land in das Nachbarhaus eines gemeinsamen Bauernhofs gezogen. Seit sie mit Mann und Kindern dort wohnt, gibt es Streitereien und Eifersucht, die während der Schwangerschaft besonders heftig waren. Während die Mutter mir davon erzählt, beginnt Teo zu schreien, weil er diese Streitereien nicht mag („Beschwerden durch Streitigkeiten“). Die Mutter ist emotional sehr erregt, als sie mit mir über die Konflikte zu Hause spricht.
Verordnung: Lycopodium C 200.

Follow-ups nach Lycopodium C 200
Die Verdauungsbeschwerden von Teo besserten sich in den nächsten Wochen deutlich. Drei Monate später braucht Teo Calcium carbonicum, zwei Jahre danach Sulphur und schließlich im Alter von drei Jahren Calcium sulphuricum (jammert, weil er nicht anerkannt und geschätzt wird). Calcium sulphuricum habe ich schon mehrmals bei Kindern verordnet, bei denen die Eltern in der Schwangerschaft durch vorschnelle Diagnostik verunsichert worden sind, dass ihr Kind möglicherweise behindert sein könnte. Diese Erfahrung wirkt sich auf das Ungeborene erschütternd aus. „Ich bin nicht richtig, so wie ich bin“, ist die Botschaft der Umgebung. Dieses Trauma kann sich dann im späteren Leben als Wahnidee zeigen.

Jan – Schreianfälle, Nabelbruch

Jan ist das dritte Kind seiner Eltern. Die vorangegangenen Schwangerschaften waren Ergebnis einer lange andauernden Hormontherapie. Obwohl ich die Mutter darauf hingewiesen hatte, dass sich ihr Hormonhaushalt während einer homöopathischen Behandlung normalisieren werde, verzichteten die Eltern darauf zu verhüten. Die Mutter wurde schwanger, als die Eltern das Thema Kinder bereits abgeschlossen hatten. Es handelte sich also um eine nicht gewünschte Schwangerschaft. Als dann die Nachricht vom Gynäkologen kam, dass das Kind behindert sein könnte, war die Verzweiflung groß. Ich erinnere mich noch an die traurigen Telefonate und Gespräche über das Thema Abtreibung. Die Eltern befanden sich in einem schweren Konflikt. Eine Untersuchung mit einem speziellen Ultraschall ergab nach Tagen, dass wahrscheinlich trotzdem alles in Ordnung sei.
Jan ist auf normalem Weg geboren worden. Er hat Schreianfälle, und die Eltern bringen ihn wegen eines Nabelbruchs zu mir („Abdomen – Hernie – Nabelbruch“: amph. Aur. bry. Calc. cham. cocc. gran. Lach. lyc. Nux-m. NUX-V. Op. plb. Puls. rhus-t. sep. Sulph. verat.). Das erlittene Leid ist dem Kind ins Gesicht geschrieben. Die Stirn ist in Falten gezogen („Gesicht: gerunzelt, Stirn, Stirnrunzeln“), der Ausdruck der Augen ist eine Mischung zwischen Wut und Trauer („Gesicht: Ausdruck – bedrückt, gequält“). Jan vermeidet den Kontakt und will von mir nicht angesehen werden („Gemüt: Angesehen; erträgt es nicht angesehen zu werden“). Die Mutter berichtet, dass er schnell erschrecke („Gemüt: Auffahren, Zusammenfahren – leicht, beim geringsten Anlass“) und empfindlich auf Licht („Gemüt: Empfindlich, Licht, gegen“) und kalte Luft („Allgemeines: Kälte – Luft kalte, Abneigung“) reagiere. Dies bemerkt sie besonders beim Wickeln. Sie achtet jetzt sehr darauf, dass der Raum, in dem sie Jan auszieht, warm ist.
Die Wahnidee „glaubt, er müsse sterben“, können wir aufgrund der Vorgeschichte vermuten und sie zeigt, dass der Mutterleib für Jan kein Ort der Geborgenheit war, sondern ein Ort größten Stresses, der Jan ins Gesicht geschrieben steht.
Verordnung: Nux vomica C 200. Nux vomica ist ein hervorragendes Mittel für ihn, um die Schreianfälle zu beheben. Die ängstlichen Eltern wollen den Nabelbruch operieren lassen. Das scheint mir überhaupt nicht nötig, weil ich bei Sven, einem anderen Neugeborenen, die Erfahrung gemacht habe, dass selbst ein hühnereigroßer Nabelbruch mit Hilfe von Nux vomica ohne Operation zuheilte. Körpersprachlich bedeutet aus meiner Sicht ein Nabelbruch, dass die abgespaltenen Gefühle so groß sind, dass der Schmerz sichtbar irgendwo durchbrechen muss, wenn das Baby und seine nonverbale Sprache nicht verstanden werden oder der Stress in der Außenwelt noch größer ist als der im Mutterleib.

Marc – Schreianfälle

Die zweite Schwangerschaft der 34-jährigen Mutter war durch eine schwere Ehekrise geprägt. Ihr Mann verweigerte seit der Zeugung den sexuellen Kontakt total, was für sie sehr schmerzlich war. Es gab keine Möglichkeit, darüber zu sprechen. Dazu kamen endlose Streitereien wegen finanzieller Belastungen.
Marc ist gerade zwei Tage alt. Sein Gesichtsausdruck wirkt traurig und bedrückt („Gesicht: Ausdruck – traurig, bedrückt – gequält“). Als ich ihn anschaue, schaut er weg („Gemüt – Angesehen, angeblickt zu werden – weicht dem Blick anderer aus“). Sein Schreien ist heiser, krächzend und irgendwie metallen, scharf und gequält („Kehlkopf und Trachea – Stimme – krächzend“). Der ganze Körper ist verkrampft und unter großer Spannung. Auch die Daumen hat Marc krampfartig nach innen eingeschlagen („Extremitäten – gezogen – innen, nach – Daumen“) und als ich ihn auf den Arm nehme, kann ich die Spannung in der Wirbelsäule fühlen („Rücken – Opisthotonus“). Die Haut ist bläulich („Haut – Farbe – bläulich“). Beim Schreien und auch sonst streckt Marc seine Zunge vor („Mund – Herausstrecken, Vorstrecken – Zunge, der“). Die Mutter meint, ihr Baby habe vielleicht Krämpfe im Bauch („Gemüt – Schreien – Abdomens; mit Beschwerden des“ oder „Gemüt: Schreien – Krämpfe, während der – Abdomen im“). Das ganze Kind wirkt, als würde es Krampfanfälle bekommen.
Verordnung: Ich verordne Cuprum metallicum in der C 200, ein Heilmittel, das wir häufig für die Zeit nach der Geburt benötigen. Streitereien und Angriffe gegen die Mutter haben in der Schwangerschaft stattgefunden und die emotionale Verkrampfung wirkt sich auf das Ungeborene aus. Angriff und Verteidigung, Themen der Metalle, finden wir in der Anamnese mit dem Neugeborenen innerhalb der Familie, im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz der Mutter. Nach Cuprum metallicum entspannt sich das Kind schnell, die Hautfarbe wechselt zu rosigem Aussehen und die Krampfbereitschaft geht zurück. Sein Folgemittel ist Calcium carbonicum.

Lara – Verhaltensauffälligkeiten und Blähungskoliken

Lara ist das zweite Kind ihrer 38-jährigen Mutter. Das erste Kind, Ella, war im 7. Monat tot geboren worden. Das Ungeborene war an einem echten Knoten in der Nabelschnur im Mutterleib gestorben. In dem Jahr nach Ellas Tod arbeitete ich diesen schweren Kummer mit Mutter und Vater auf. Wie ein roter Faden ziehen sich Lebensthemen durch die Familiengeschichten. Darum sind mir in der Anamnese alle vorangegangenen Schwangerschaften, Tot- und Fehlgeburten wichtig. Diese ungeborenen Babys bringen eine Botschaft, die es für die Eltern oder das Familiensystem zu entschlüsseln gilt.

Vorgeschichte. Hier war in der Familiengeschichte der Selbstmord der Großmutter väterlicherseits noch nicht bearbeitet. Diese hatte sich das Leben genommen, als ihr Sohn gerade auf einer langen Auslandsreise war. Ihm konnte der Tod seiner Mutter nicht mitgeteilt werden, sodass er völlig unvorbereitet von seiner langen Reise zurückkam und keinen Abschied mehr nehmen konnte. Auch waren die Familienangehörigen in ihrer Trauerbewältigung schon weiter, deshalb fühlte er sich mit diesem Geschehen allein und musste seine schwierigen Gefühle verdrängen. Laras Mutter hatte ihre eigene Mutter durch plötzlichen Krebstod verloren. Auch sie hatte, damals zwanzigjährig, keinen Abschied nehmen können. Das Thema Tod war für sie noch verfrüht, so konnte sie die nötige Trauerarbeit nicht leisten. Jetzt arbeiteten wir zu dritt an diesem anstehenden Trauerprozess über den Verlust der gemeinsamen Tochter und der Mütter, die ohne Abschied von ihren Kindern gestorben waren.
Ich empfahl den Eltern, mit einer weiteren Schwangerschaft das Trauerjahr abzuwarten, damit die neue Schwangerschaft für Mutter und Baby leichter sein würde. Lara wurde zwei Jahre nach ihrer Schwester geboren. Die Schwangerschaft war von starken Ängsten der Schwangeren um das Leben des Kindes geprägt. Mit homöopathischen Heilmitteln stabilisierte sich der Zustand der Mutter aber immer wieder.

Schwangerschaftskomplikationen. Während ich eine längere Reise unternahm, entwickelte die Mutter eine Schwangerschaftsgestose mit Blutdruckwerten von über 210/190 mm/Hg, Wassereinlagerungen und Eiweißausscheidungen im Urin. „Wir müssen das Kind jetzt holen, sonst ist Ihr Leben in Gefahr!“, sagten die Ärzte zu ihr. Die Einweisung in die Klinik erfolgte. In der Nacht vor der Geburtseinleitung fühlte sich die Schwangere sehr alleingelassen. Alle Erinnerungen an Ellas eingeleitete Geburt tauchten wieder auf. Damals war es sehr schwer, ein totes Kind gebären zu müssen. Die Angst, dass auch dieses Baby sterben würde, wurde übermächtig. Den Krankenschwestern fehlte das nötige Verständnis. Die Mutter rief ihren Mann an, weil sie in dieser Nacht aufgrund der großen Ängste nicht allein sein konnte.

Geburt. Am nächsten Tag wurde die Geburt mit Prostaglandin-Injektionen am Muttermund eingeleitet, welche Dauerwehen erzeugten. Die Mutter fühlte sich durch das rücksichtslose Eingreifen der Hebamme, die mehrmals versuchte, den Muttermund zu weiten, vergewaltigt. Unter diesen Umständen verschlechterten sich die Herztöne des Kindes so, dass die Mutter einen Kaiserschnitt wünschte, um das Leben ihres Kindes zu retten. Die Ärzte verweigerten dies aus Zeitgründen. Lara wurde schließlich spontan entbunden.
Zehn Tage nach der Entbindung kommen die Eltern mit Lara in meine Praxis. Sie erzählen von der schwierigen Geburt und bitten mich um ein Heilmittel für ihre kleine Tochter. Das Neugeborene schläft in den Armen der Mutter. Es wird auch beim Trinken nicht richtig wach. Laras Augenlider sind nicht ganz geschlossen („Auge – offene Augen, geöffnete Lidspalte im Schlaf“), ihr Unterkiefer zittert leicht von Zeit zu Zeit („Gesicht – Zittern – Unterkiefer“), die Farbe des Gesichts ist bläulich („Gesicht – Farbe – bläulich“) und ihr Gesicht sieht alt aus („Gesicht – Ausdruck – alt aussehend“). Als ich das Baby anspreche, öffnet es die Augen nicht, es will keinen Kontakt mit mir. Die Mutter erzählt, dass es im Schlaf bei Geräuschen zusammenschrecke („Schlaf – Gestört – durch das geringste Geräusch“).
Verordnung: Opium C 200.

Follow-up: drei Wochen nach Opium C 200
Drei Wochen später kommen die Eltern erneut mit Lara. Jetzt beschreiben sie das Baby als sehr wach und lebendig, anspruchsvoll und eigen. Es ist leicht beleidigt („Gemüt – beleidigt, leicht“), ungeduldig und hat Blähungskoliken. Die Kleine beansprucht die Eltern sehr, und diese sind schon am Ende ihrer Nervenkraft.
Lara nimmt jetzt guten Kontakt mit mir auf. Ihr Gesichtsausdruck ist sehr angespannt, die Stirn gerunzelt („Gesicht – gerunzelt – Stirn, Stirnrunzeln“). Der Kummer um die schwierige Geburtserfahrung war noch nicht geheilt. Auf Nachfrage erfahre ich eine Empfindlichkeit auf Geräusche, Licht und kalte Luft. Lara mag darum auch nicht gerne gewickelt werden. Zudem wird sie sehr eifersüchtig („Gemüt – Eifersucht“). Sie schreit, wenn sie nicht die ganze Aufmerksamkeit ihrer Mutter hat.
Verordnung: Nux vomica C 200. Nux vomica ist ein Heilmittel, das in den Rubriken „Beschwerden durch den Tod eines Kindes“ und „Wahnidee, glaubt, er müsse sterben“ aufgeführt ist. Beides waren Themen der Mutter während der Schwangerschaft und unter der Geburt. Nach einer schweren Geburt braucht es mehrere Heilmittel, bis das Baby die schwierigen Erfahrungen während der Entbindung verarbeitet hat. Das erste Heilmittel für Lara war Opium. Das Folgemittel Nux vomica ist wichtig für die schwierigen Gefühle des Neugeborenen während der Schwangerschaft, die es von der Mutter übernommen hat, jedoch nicht ausdrücken konnte. Als nächstes Mittel bekommt Lara Lycopodium in der C 200. Ein Heilmittel, das den Babys hilft, sich in dieser Welt zu verwurzeln.

Follow-up: vier Monaten nach Lycopodium C 200
Nach vier Monaten berichtet die Mutter in einem Termin, dass Lara nicht allein sein könne („Gemüt – Furcht – allein zu sein“). Sie habe große Angst einzuschlafen, erwache dann nachts voller Panik und klammere sich an die Mutter („Erwacht in Panik, erkennt niemanden, klammert sich an die Umstehenden; das Kind“). Dunkelheit ertrage sie gar nicht mehr. Sie schreie („Gemüt – Furcht vor der Dunkelheit“), sobald sie in ein dunkles Zimmer geführt werde. Lara schlafe erst dann ein, wenn sie gestillt werde.
Lara sitzt auf dem Schoß der Mutter, greift nach unsichtbaren Gegenständen auf der Tischplatte („Gemüt – Gesten und Gebärden, macht“). Auffällig ist ihr Gesichtsausdruck: Glücklich schaut sie mich an, als wir über sie sprechen („Gesicht – Ausdruck – glücklich“).
Verordnung: Stramonium C 200. Erwähnenswert ist, dass die Mutter nach der Geburt ebenfalls Stramonium bekommen hat. Sie konnte den Gedanken nicht loswerden, dass sie ihr Kind töten müsse. Ich war der Mutter dankbar für das Vertrauen, das sie mir entgegenbrachte. Durch ihre Ehrlichkeit konnte ich schnell das richtige Heilmittel finden, damit sie ihrer Tochter die Liebe geben konnte, die beide nährte. Die Wahnidee „allein in der Wildnis zu sein und jeder ist ihr Feind“ beschreibt die Gefühle, welche die Gebärende im Kreißsaal gehabt hatte, sehr deutlich und es brauchte beim Baby Zeit, bis diese Gefühle sichtbar werden und sich als Symptome deutlich zeigen konnten.

Abmagerung bei Neugeborenen

Lea – Abmagerung, Hautausschlag

Der Schwangerschaft mit Lea war eine Fehlgeburt vorausgegangen. Diese lag nur drei Monate vor der neuen Empfängnis mit Lea. Gleichzeitig verstarb die Schwester des Vaters unter tragischen Umständen. Die Schwangerschaft war geprägt von den Ängsten, dass auch dieses Kind sterben könne. Die Mutter war dann einige Tage vor dem errechneten Termin unruhig und fuhr in die Klinik. Das Fruchtwasser war grün und die Wehen waren nicht ausreichend, um die Geburt voranzutreiben. Die Mutter wurde an den Wehentropf angeschlossen. Das Kind steckte dann im Geburtskanal fest und bekam Luftnot, wie die Mutter erzählte. Der Arzt half nach mit dem Kristella-Griff.
Das Kind wollte nach der Geburt nicht an die Brust. Es war auch auf dem Bauch der Mutter unruhig und weinte. Nachdem die Mutter dem Baby kurz nach der Entbindung Aconitum gegeben hatte, beruhigte es sich. Die Mutter berichtet zehn Tage später am Telefon, dass Lea die Brust immer noch nicht gerne nehme, erschreckt wirke und Alpträume habe. Da sei ganz viel Angst in dem Baby, erzählt sie aufgeregt und sie mag gar nicht gerne angefasst werden („Gemüt – Angefasst zu werden – Abneigung“). Das Geburtsgewicht ist von 4 200g auf 3 500g gesunken. Die Windel ist oft trocken und die Haut ist schlaff („Haut – Schlaffheit“). Um den Nabel herum hat Lea einen leichten Hautauschlag („Allgemeines – Abmagerung – Kindern; bei – Neugeborenen; bei – begleitet von – Nabel – Hautausschlag am Nabel“). Lea schläft an der Brust immer ein und die Mutter pumpt anschließend noch genügend Milch ab.
In der der Schwangerschaft hatte es viel Streit, emotionale Verletzungen und Ablehnung durch die älteste, pubertierende Tochter gegeben. Diese wollte keine kleine Schwester mehr. Als Lea dann da war, war die älteste Tochter aggressiv. Sie lehnte das Baby ab und schaute Lea nicht einmal an.

Verordnung und Folllow-up
Ich verordne Abrotanum in der C 30 am Telefon und gebe der Mutter für den nächsten Tag einen Termin, um die Mittelwirkung zu kontrollieren, weil ich sonst eine Klinikeinweisung befürchte. In der Praxis schläft Lea die ganze Zeit und träumt lebhaft, was an den heftigen Augenbewegungen zu erkennen ist. Sie hat blaue Ringe unter den Augen und runzelt das Gesicht von Zeit zu Zeit. Lea hat sehr lange Finger, die sich kalt und blass anfühlen. „Lea ist ein stilles Kind, mehr nach innen blickend. Sie scheint irgendwie noch nicht richtig angekommen zu sein“, sagt die Mutter. Sie ist immer noch besorgt über Leas Gewichtsverlust. Das Kind lässt die Nahrung aus dem Mund herauslaufen. Der Magen scheint blockiert zu sein und nicht richtig zu arbeiten. In der vierten Nacht nach der Geburt hatte Lea schleimig-grün erbrochen. Die Mutter erzählt noch einmal, dass sie immer wieder versuche, Lea zu stillen, die Kleine aber gleich wieder einschlafe. Als ich nachfrage, was los war, sagt die Mutter, dass es am Wochenende vor Leas Geburt Streit gegeben hätte zwischen ihren geschiedenen Eltern. Während der gesamten Schwangerschaft hätten diese sie mit ihren Konflikten sehr belastet. Es hätten emotionale Verletzungen unter den Familienangehörigen stattgefunden. Der Kontakt zwischen Mutter und Kind kann nicht als gut bezeichnet werden. Die Mutter meint, es entstehe nicht die Bindung, die sie von ihren anderen Kindern kenne. Sie sei deswegen sehr traurig. Sie sei auch zu Beginn der Schwangerschaft unsicher gewesen, ob Lea nicht zu schnell nach der Fehlgeburt gekommen sei.
Abrotanum gehört zur Familie der Verletzungsmittel, welche der großen Pflanzenfamilie der Korbblütler (Compositae) angehören. Emotionale Verletzungen können sich über Verdauungsbeschwerden äußern. Unter den Korbblütlern entspricht Abrotanum dem tuberkulinischen Miasma. Grausamkeit, Unmenschlichkeit, Brutalität im Allgemeinen finden wir in der Pathologie von Abrotanum. Diese Symptome weisen auf das tuberkulinische Miasma hin. Rajan Sankaran schreibt zu Abrotanum: „Bedrückt und erstickt durch Verletzung, Weh und Beleidigung“. Mit diesen Gefühlen hatte Lea sich während der Schwangerschaft und nach der Geburt auseinandersetzen müssen. Nach Einnahme von Abrotanum nimmt Lea an Gewicht zu, sie wird wacher und lässt sich gerne von ihren Geschwistern herumtragen. Acht Wochen später zeigt sich ein deutliches Stramonium-Bild.

Augenentzündungen

Tom – Konjunktivitis, Hautausschlag

Die Schwangerschaft mit Tom war ebenfalls durch viele heftige Streitereien zwischen den Eltern geprägt („Gemüt – Beschwerden durch – Uneinigkeit, Zwietracht – Eltern; zwischen den eigenen“). Er ist das fünfte Kind und der Vater wollte ihn nicht mehr haben. Er drohte, seine Frau zu verlassen, wenn sie das Kind austragen würde. Die Mutter wollte nicht abtreiben und so wurde Tom termingerecht entbunden, fiel bei der Geburt jedoch gleich der Hebamme aus den Händen auf den Fußboden. Da die Mutter auf einem Gebärstuhl entbunden hatte, stürzte Tom nicht von weit oben und trug keine körperlichen Verletzungen davon, aber sicherlich einen Schock („Gemüt – Beschwerden durch – Schock; seelischen“). Welch unsanfter Empfang in dieser Welt. Der Vater lehnt Tom ab und der erste Mensch, der ihn halten sollte, lässt ihn fallen.
Jetzt kommt die Mutter mit dem Neugeborenen, weil er eine eitrige Augenentzündung („Auge – Entzündung – eitrig“) und einen Hautausschlag am Schultergürtel hat. Der Nabel nässt. Ein unglückliches, verärgertes Baby. Sein Gesicht ist von Ärger und Zorn völlig verzerrt („Gesicht – Verzerrung“). Er schreit immer, wenn der Vater ihn auf den Arm nehmen will, als würde er ihm seine Wut über die Ablehnung entgegenschreien. Die Mutter sagt, er hat Ängste, wenn er irgendwo alleine ist, vor allem nachts muss er bei ihr liegen („Gemüt – Furcht – allein zu sein – nachts“), sonst weint er nur.
Verordnung: Ich entscheide mich für Hepar sulphuris in der C 200, das gut wirkt. Babys, die Hepar sulphuris benötigen, sind verärgert, weil die Menschen, die für sie sorgen sollten, dies nicht genügend tun. Danach entwickelt sich ein deutliches Bild von Calcium carbonicum.

Helena – Konjunktivitis

Helena ist das vierte, ungeplante Kind ihrer 34-jährigen Mutter. Als die Mutter schwanger wurde, hatten sich die Eltern entschieden, darüber nie ein Wort zu verlieren, sondern sich nur auf das Kind zu freuen. Ihr Bruder war erst ein Jahr alt und die Mutter war durch seine schwere Hautkrankheit sehr belastet. Während der Schwangerschaft gab es erhebliche finanzielle Probleme in der Familie. Die elterliche Beziehung war schwierig, es gibt viele Uneinigkeiten. Der Vater war in seinem Beruf von einem Kollegen auf fast kriminelle Art betrogen worden.
Die Familienanamnese zeigt viele schwere Allergien, neurologische Erkrankungen und geistige Behinderungen. Es liegt also ein syphilitisches Miasma vor. Die Mutter ist selbst Homöopathin und hat schon ohne Erfolg Pulsatilla für die eitrige Augenentzündung („Auge – Entzündung – Kindern; bei – Neugeborenen; bei acon. arn. kali-s. merc-c. puls. thuj.“) verordnet. Die Geburt war leicht, Helena ist zu Hause geboren worden. Das Neugeborene ist 10 Tage alt, als ich es sehe. Es wirkt erschöpft und traurig. Die Augenlider sind auch entzündet und geschwollen („Auge – Entzündung – Lider – innere Seite“). Die Wangen („Gesicht – Farbe – rot – glühendrot – Wangen“) und das Kinn sind sehr rot und voller kleiner Pickel. Das Gesicht wirkt aufgequollen („Gesicht – Gedunsen“), die Lippen sind leicht bläulich und rissig („Mund – Rissig“). Sie hat den Mund die ganze Zeit geöffnet („Mund – Offen“). Um den Mund herum ist sie blass („Gesicht – Farbe – blass – Mund, um den“). Als ich Helena anschauen will, sieht sie gleich weg, rollt die Augen, schließt sie, um sie dann wieder kurz zu öffnen. Während ich versuche, mit ihr Kontakt aufzunehmen, wiederholt sich dieses („Auge – Bewegung – Rollen der Augen“).
Verordnung: Das verordnete Heilmittel ist Mercurius corrosivus in der C 200. Fünf Monate später sehe ich sie wieder. Die Augenentzündung ist nach Mercurius schnell abgeheilt und das Baby hat sich gut entwickelt.

Icterus neonatorum (Neugeborenengelbsucht)

Lena – Icterus neonatorum

Lena ist gerade 5 Tage alt, als die Mutter mich anruft, weil ihr Kind eine Gelbsucht hat („Haut – Farbe – gelb – Neugeborenen, bei“). Die Geburt ist sehr schwer gewesen und Lena steckte lange mit ihrem Köpfchen fest. Die Mutter meint, das Baby sei am Kopf verletzt worden. Die Entbindung war schließlich spontan und die Mutter verließ wenige Stunden nach der Geburt das Entbindungsheim. Ich besuche die Familie für die Fallaufnahme zu Hause. Die Beziehung der Eltern ist sehr schwierig, der Ehemann hat sich im Laufe der Schwangerschaft völlig von seiner Frau zurückgezogen („Gemüt – Entfremdet – Ehefrau, von seiner“), was der Mutter viel Kummer bereitet hat („Gemüt – Kummer, Trauer“). Als ich das Haus betrete, öffnet mir der Ehemann die Tür. Die Mutter liegt mit der Kleinen im Bett. Die Atmosphäre zwischen den Eltern ist spürbar angespannt. Die Haut des Babys ist sehr gelb und als ich Lena berühre, beginnt sie zu weinen („Gemüt – Empfindlich – Berührung, gegen – Kindern; bei“). Sie sieht sehr traurig aus („Gemüt – Traurigkeit – Verletzungen – Kopfes; des“).
Verordnung: Nach Natrium sulphuricum in der C 200 sinkt der Bilirubinspiegel und es ist keine Klinikeinweisung notwendig.

Follow-up: zwei Wochen nach Nat-s. C 200
Zwei Wochen später kommt die Mutter dann mit Lena in die Praxis. Jetzt zeigt sich ein deutliches Bild von Stramonium, ebenfalls ein wichtiges Mittel nach schwierigen Entbindungen und für die Folgen von Kopfverletzungen.

Anna – Icterus neonatorum

Anna ist das vierte Kind. Die Beziehung der Eltern ist gut. Die Mutter, deren Heilmittel über viele Jahre Mercurius solubilis gewesen war, wurde in der Schwangerschaft sehr ängstlich, weil bei der Geburt ihres dritten Kindes die Nabelschnur vorgefallen war und sie mit dem Notarztwagen unter der Geburt ins Spital gebracht werden musste. Nun befürchtete die Mutter, dass es auch bei diesem Baby zu einem Kaiserschnitt kommen könnte („Gemüt – Furcht – geschehen; etwas werde – Schreckliches werde geschehen; etwas“). In den dazwischen liegenden Jahren haben wir die traumatische Geburtserfahrung gut aufgearbeitet. Jetzt reichen die Wehen nicht für eine spontane Geburt aus („Weibliche Genitalien – Schmerz – Wehen – schwach“) und ich verordne am Telefon Pulsatilla C 1000, ein bewährtes Mittel, wenn die Wehen nach dem Platzen der Fruchtblase nicht einsetzen oder zu schwach sind. Weil die Mutter schon mit ihrem Mann im Kreißsaal ist, dauert es allerdings fast zwei Tage, bis der Vater das Mittel besorgen kann. Die Ärzte sind schon für einen Kaiserschnitt bereit. Drei Stunden nach Einnahme von Pulsatilla wird Anna doch noch spontan geboren. Das Baby ist von der lang andauernden Geburt völlig erschöpft und schläft nur noch. Die ängstliche Mutter ruft mich an, weil Anna so schnell nach der Geburt gelb wird.

Neugeborenengelbsucht. Für die Gelbsucht („Haut – Farbe – gelb – Neugeborenen, bei“) verordne ich wiederum telefonisch Chelidonium („Gemüt – Wahnideen – sterben – gleich sterben; man würde gleich“), ein Mittel aus der Pflanzenfamilie der Papaveracae, zu der auch Opium gehört, jedoch ohne großen Erfolg. Die Mutter hat dem Baby selbst schon Opium gegeben („Gemüt – Wahnideen – stirbt – er“), weil es gar nicht mehr erwacht ist und auf nichts reagiert hat. Es ist offensichtlich, dass das Baby lange Zeit im Geburtskanal gelitten hat.

Zwei Wochen nach der Geburt. Die Mutter kommt mit dem gelben, schlafenden Baby in die Praxis. Anna sei ein sehr freundliches Kind, das nie schreie, sagte sie („Gemüt – Gleichgültigkeit, Apathie – klagt nicht“). Sie ist sehr schläfrig, hat lange Trinkabstände und schläft auch die Nächte durch, was in diesem Alter sehr ungewöhnlich ist. Nur in kurzen Momenten ist Anna wach, dann zieht sie sich wieder in den Schlaf zurück. Die Mutter erzählt weiter, dass Anna schnelle Augenbewegungen mache, die Augen auch mal kurz öffne, aber noch nicht ganz in ihrem Körper sei. Sie lächle viel im Schlaf, manchmal habe sie auch Bauchschmerzen und drücke dann erfolglos. Das Baby sieht sehr friedlich aus, während es im Arm der Mutter liegt. Auffällig ist für mich, dass Anna während des Gesprächs öfters Kaubewegungen im Schlaf macht. Sie habe sich von der Anstrengung der Geburt noch nicht erholt und wirke wie in ihrer eigenen Welt, sie sende nie irgendwelche Signale, sagt die Mutter, als wäre sie wunschlos glücklich („Gemüt – Gleichgültigkeit, Apathie – Wünsche noch irgendwelchen Willen; hat weder“). Unter der Geburt hatte die Mutter immer das Gefühl, dass die Geburt doch noch ein schreckliches Ende nehmen werde („Gemüt – Furcht – geschehen; etwas werde – Schreckliches werde geschehen; etwas“). Auf meine Frage, ob es sonst noch etwas Auffälliges gibt, erwähnt die Mutter noch eine Empfindlichkeit auf Geräusche. Anna werde dann für kurze Zeit unruhig („Gemüt – Empfindlich – Geräusche, gegen – plötzlich“).
Verordnung: Podophyllum peltatum in der C 200 war das Heilmittel, das Anna half, in diese Welt hinein zu erwachen. Podophyllum ist auch ein Mittel, das nach Überanstrengungen gegeben werden kann und eine Geburt, die so lange andauert, ist für das sensible Neugeborene sicher eine große Überforderung.

Fazit

Jedes Neugeborene ist anders, sieht anders aus und bringt eine ganz eigene Geschichte mit in diese Welt. Dafür müssen wir Homöopathen unsere Augen öffnen und unsere Wahrnehmung schulen. Die beste Arznei für diese zarten Wesen ist sicher die Liebe seiner Eltern, Wärme und Geborgenheit. Manchmal sind aber die Eltern aufgrund der eigenen Problematik damit überfordert, in ihnen lebt das ebenso unsichere, nicht verstandene Kind und sie ringen mit den schwierigen Themen ihres Lebens. Die homöopathische Begleitung mit Heilmitteln, in denen die Liebe der Schöpfungskraft enthalten ist, unterstützt dann die Lebenskraft, wenn durch Mangel oder Störung das sensible Neugeborene beim Eintritt in dieses Leben Hilfe braucht.

Literatur:
Boyesen. G.: Biodynamik des Lebens. 3. Aufl., Synthesis, Essen 2006
Pfeifer, H., Drescher, M., Hirte M.: Homöopathie in der Kinder- und Jugendmedizin. Elsevier, Urban & Fischer München 2004
Molcho, S., Baumgartl, N.: Körpersprache der Kinder. Ariston, München 2005

zurück zu Veröffentlichungen



Homöopathie Zeitschrift – Heft I / 07

Akute Erkrankungen bei Kindern

Akute Krankheiten sind durch das plötzliche Auftreten und ihre Heftigkeit (Schmerzen, deutliche und auffällige Gemütsstörungen, hohes Fieber) für den Tagesablauf der ganzen Familie störend und auch für die Kinder und Eltern angsterzeugend. Sie erfordern eine prompte Behandlung, damit sie keinen gefährlichen Verlauf nehmen. Sollten allerdings im kindlichen Organismus durch die vorausgehende chronische homöopathische Behandlung die Autoregulationsmechanismen gestärkt worden sein, heilt die Lebenskraft selbst das hohe Fieber, den Schnupfen oder Husten in der Regel von allein.

1. Stellenwert akuter Erkrankungen bei Kindern

Jede akute Erkrankung ist ein Versuch des Körpers, einen Ausgleich zu schaffen für „etwas“, das aus der Ordnung gefallen ist und wieder in Harmonie mit dem Geist-Körper-Seelengefüge gelangen möchte. Kinder sind in vielen Situationen des Lebens gefordert und oft auch überfordert und brauchen eine akute Krankheit, um innezuhalten, auszuruhen, einen Entwicklungssprung zu tun oder um Erbgifte auszuscheiden. Akute Krankheiten trainieren das Abwehrsystem, sie können das Kind und die Konstitution stärken. Letztendlich brauchen Kinder akute Krankheiten, um sich gesund zu entwickeln.

Akuter Schub einer chronischen Erkrankung

Jede akute Krankheit kann aber immer auch Teil einer chronischen Krankheit sein.
Chronische Krankheiten gehen mit akuten Krankheiten oft Hand in Hand.
Nehmen wir z.B. eine häufige chronische Krankheit bei Kindern, die Neurodermitis. Wenn sie mit homöopathischen Mitteln gut eingestellt ist, geht es dem Kind erfahrungsgemäß gut und es entwickelt sich altersgerecht. Bei einem Krankheitsschub hingegen kann diese ehemals chronische, jetzt „scheinbar akute Krankheit“ durch ihre heftigen Hautsymptome und die veränderten Verhaltensweisen des Kindes unangenehm und störend sein. Letztendlich ist diese akute Phase Ausdruck der chronischen Störung im Inneren des Organismus. In diesem Fall geben wir ein chronisches Mittel, das gleichzeitig aber auch in dem akuten Zustand hilft.

Akuter Infekt bei chronischer Erkrankung

Bekommt ein Kind mit Neurodermitis nun Schnupfen, Husten und hohes Fieber, scheint die Haut geheilt zu sein. Bei diesem Infekt – eine Mutter formulierte das Geschehen treffend: „Als würde das Fieber alles verbrennen, was sonst aus der Haut herauskommt“ – benötigt das Kind möglicherweise ein akutes Mittel.
Wenn akute Krankheiten auftreten, schweigen die chronischen Symptome!
Das chronische Mittel ist vielleicht Calcium carbonicum, aber in der akuten, hochfieberhaften Krankheit zeigt sich Belladonna deutlich. Dann ist es möglich, dass das Kind in der ersten Phase Belladonna und im späteren Verlauf der Krankheit Calcium carbonicum benötigt – und um wieder ganz auf die Beine zu kommen, später Tuberculinum.

Akute Erkrankung mit deutlicher Causa

Bei „echten akuten Erkrankungen“, bei denen der kindliche Organismus aufgrund seiner Abwehrschwäche oder wegen der Heftigkeit des der Krankheit vorausgegangenen Ereignisses (Streitigkeiten der Eltern, Enttäuschung oder heftiger Tadel) nicht in der Lage ist, die Krankheit aus eigener Kraft zu bewältigen, hilft uns die Causa oft enorm weiter, schnell das passende Heilmittel zu finden. Natürlich nur dann, wenn die Causa von den Eltern oder von dem Kind unmissverständlich berichtet wird.
Eine Mutter rief mich an, weil ihr dreijähriger Junge nach einer Urlaubsreise plötzlich Husten und hohes Fieber bekam. Auf meine Nachfrage erfuhr ich, dass sie auf der Rückreise einen Unfall auf der gegenüberliegenden Fahrbahn beobachtet hätten. Sie konnten nur langsam daran vorbeifahren, als Rettungswagen und Feuerwehr gerade die verletzten Menschen bargen. Alle im Auto waren darüber sehr erschrocken, aber nur der Kleinste wurde krank (Gemüt – Beschwerden durch – Schreck – Unfalls; durch Anblick eines). Aconitum C 200 half sofort, um den Schreck, den der kleine Junge nicht verarbeiten konnte, auszuheilen.

Akute Erkrankung ohne Causa

Es ist aber nicht immer der Fall, dass wir so schnell „dem Täter“ auf der Spur sein können, und so müssen wir sehr genau hinspüren, nachfragen, aufdecken. Dabei helfen uns natürlich auch die körperlichen Symptome, die ich im dargestellten Fall allerdings nicht weiter angeschaut habe, weil ich diesen Jungen gut kannte und mir vorstellen konnte, was diese Erfahrung für ihn bedeutete. Er saß angeschnallt in seinem Kindersitz im Fond des Wagens und konnte weder Trost noch Halt von seinen Eltern bekommen, weil auch sie über die Umstände erschreckt waren und ihre Plätze im Auto nicht verlassen konnten. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde er konfrontiert mit Schreck, Angst, Ohnmacht und Tod! Er hatte keine Möglichkeit wegzulaufen, und auch in den Armen einer Bezugsperson konnte er keinen Schutz finden. Er wurde akut krank, um die unterdrückten Gefühle verarbeiten zu können.

2. Psychische Begleittherapie von Eltern und Kind

Oft habe ich erlebt, dass den Eltern erst nach Verordnung des Heilmittels bewusst wurde, was im Leben ihres Kindes überhaupt los war. Ich sage den Angehörigen in solchen Momenten, welches Heilmittel ich verordne und erkläre ihnen die Analogie des Heilmittels in der Art einer kleinen Geschichte. Auch frage ich z.B., ob sich meine Einschätzung der Krankheitssituation für sie richtig anfühlt. Das dadurch entstehende ehrliche Beziehungsfeld ist mir wichtig, denn wir tragen gemeinsam an der Verantwortung, die es braucht, damit ein Kind sich gesund entwickeln kann. Bei Stramonium sage ich z.B. zum Kind: „Schau, ich gebe dir jetzt die Engelstrompete. Das ist dann so, als würde dich immer ein Engel begleiten, der auf dich achtet, damit du keine Angst mehr haben musst.“ Bei Pulsatilla erzähle ich von der Schönheit der kleinen Kuhschelle, die sich schnell allein fühlt und darum immer mit mehreren Blüten zusammensteht. „Diese Kügelchen helfen dir, damit du dich nicht mehr so allein und traurig fühlst.“ Für Silicea-Kinder ist es ein schönes Gefühl, Halt und Stütze zu bekommen, um wieder aufgerichtet durchs Leben gehen zu können. Gibt doch die Kieselerde dem zarten Grashalm die Kraft, aufrecht zu stehen.

Akute Erkrankung oder Ausscheidungsreaktion?

In jedem Krankheitsfall ist es wichtig zu differenzieren, ob eine echte akute Krankheit oder aber eine Heil- oder Ausscheidungsreaktion auf das vor Wochen verordnete Heilmittel vorliegt.
Dazu brauchen wir Erfahrung und die Eltern entsprechende Informationen über die Heilreaktionen, die im Verlaufe einer chronischen Behandlung auftreten können. Da jedes Heilmittel und jedes Kind ein anderes Reaktionsmuster und einen eigenen Heilungsverlauf aufweist, sollten wir hier unbedingt abwarten, bis deutliche Symptome sichtbar sind oder aber sich herausstellt, dass die Lebenskraft allein mit der momentanen Krankheit zurechtkommt. So weise ich z.B. nach einer Gabe Tuberculinum die Eltern darauf hin, dass ihr Kind nach drei Wochen hohes Fieber bekommen könnte, weil die Heilreaktion von Tuberculinum bei Kindern oft nach ca. drei Wochen eintritt.

  • Bei einer „echten akuten Krankheit“, dürfen wir auf jeden Fall ein Heilmittel geben, wenn Ursache und Symptome klar zu erkennen sind.
  • Handelt es sich um eine Ausscheidungsreaktion – ablesbar z.B. an einem Hautausschlag, Erbrechen, Durchfall oder Fieber – dürfen wir auf keinen Fall ein weiteres Heilmittel geben, damit wir die Lebenskraft nicht stören, wenn sie aufräumt: Oft gehen diese Reaktionen insbesondere im kindlichen Organismus mit Fieber einher: Wissen die Eltern um diesen Zusammenhang, freuen sie sich mit mir über die gute Reaktion des Heilmittels. Es ist ein wichtiger Unterschied, ob wir eine Krankheit willkommen heißen oder ob wir sie befürchten!

Auch bei Calcium carbonicum reagiert die Haut erst zwei bis drei Wochen nach der Mitteleinnahme. Damit Eltern nicht erschrecken, sage ich ihnen Folgendes: „Machen Sie sich bitte keine Sorgen, wenn Ihr Kind in drei Wochen einen Hautausschlag bekommen sollte. Er wird gegebenenfalls über den ganzen Körper wandern, dann aber verschwinden. Das ist eine Ausscheidungsreaktion. Der Körper nutzt die Haut als Ventil, damit Ihr Kind gesund werden kann. Wenn das passiert, ist es ein sehr gutes Zeichen.“

Bei der Verordnung von Belladonna bereite ich die Eltern bereits am Telefon vor, dass der Schmerz des Kindes nach Einnahme des Mittels eventuell noch einmal ganz heftig werden könnte, sich danach sein Befinden aber schnell wieder bessern würde. Die Belladonna-Verschreibung erfolgt oft per Telefon. Bei der Verabreichung von Chamomilla oder Ignatia im akuten Fall habe ich selten heftige Erstverschlimmerungen erlebt. Vielleicht liegt es daran, dass der Zustand selbst schon so erschreckend für die Beteiligten ist und für das kranke Kind nicht aushaltbar. Etwas ganz Schlimmes kann vielleicht nicht noch schlimmer werden.

Zahnungsbeschwerden – 1½-jähriger Junge

Auf einer Urlaubsreise in Indien kam ein völlig erschöpfter Vater zu mir, auf seinen Armen ein zornig schreiender, eineinhalbjähriger Junge. Clay ist hellhäutig und blond, sein Körpergewebe wirkte schlaff (Allgemeines – Aussehen – hell, blond – schlaffer Faser, mit). Er strich sich immer wieder über sein Gesicht, als würde er etwas wegwischen wollen. (Gemüt – Gesten, Gebärden; macht – Hände; unwillkürliche Bewegungen der – wegwischen; als würde er sich übers Gesicht wischen oder etwas). Die ganze Nacht hatte er wegen Zahnschmerzen keine Ruhe gefunden. Sein Gesicht war hochrot, von Schmerzen verzerrt (Gesicht – Farbe – rot – Schmerzen, bei) und geschwollen (Zähne – Beschwerden der Zähne – begleitet von – Gesicht – Schwellung).

Verordnung: Chamomilla C 200
Chamomilla C 200 beseitigte den Zustand von einer Minute auf die andere und zum Wohle aller Mitreisenden. Das seit Stunden laut schreiende Kind nahm die Globuli nur widerspenstig in den Mund, schüttelte sich einen kleinen Moment, wurde still und schaute erstaunt in die Welt, weil der Alptraum plötzlich zu Ende war.

Fieber und Bauchschmerzen – 2-jähriger Junge

Ein zweijähriger Junge bekam nach einer Flugreise hohes Fieber und entwickelte starke Bauchschmerzen. Die Eltern baten mich in Kairo auf ihr Hotelzimmer. Zusammengekauert lag der kleine Junge auf dem Bett. Er wollte von mir nicht angeschaut werden (Gemüt – angesehen, angeblickt zu werden – erträgt es nicht, angesehen zu werden – Kindern; bei) und trat wütend nach mir, als ich mich ihm näherte (Gemüt – Stoßen, Treten, Austreten – Kindern; bei). Seine blonden Haare waren struppig, eine Wange rot, die andere blass (Gesicht – Farbe – rot – eine Seite – blass, die andere rot; eine Seite). Als ich seinen Bauch untersuchen wollte, beschimpfte er mich wütend, ich solle verschwinden, ich dürfe ihn nicht berühren (Gemüt – berührt werden – Abneigung berührt zu werden – Kindern; bei) und auch nicht in seine Nähe kommen (Gemüt – Furcht – näher kommen, Annäherung von; vor – anderen, von). Also unterließ ich die Untersuchung.

Verordnung: Chamomilla C 200
Als ich die Familie am nächsten Morgen beim Frühstück traf, war der Kleine auch dabei. Das Fieber war noch einmal angestiegen und dann langsam abgefallen. Die Schmerzen verschwanden, er selbst machte einen vergnügten Eindruck und warf mir sogar einen freundlichen Blick zu.
Chamomilla ist ein Verletzungsmittel – und bei derartigen Kindern sind die Nerven aufgrund zu vieler Eindrücke überreizt und dadurch verletzt. Es konnte natürlich auch so gewesen sein, dass der Junge über irgendetwas Beliebiges sehr zornig war. Wenn wir uns als Erwachsene in die empfindsamen Sinne eines Kleinkindes versetzen, dann können wir verstehen, wie der Lärm und die Kontrollen auf Flughäfen mit all den anderen Eindrücken und den vielen fremden Menschen sowie der Polizei mit Maschinengewehren den kindlichen Organismus in Aufruhr versetzen. Auch in ihrem Freiheitsdrang sind Kinder massiv eingeschränkt: Sie wollen eigentlich spielen und die Welt entdecken, sind aber gezwungen, 8 bis 10 Stunden angeschnallt auf einem Sitz zu verbringen.

Verschluckte Gräte – 5-jähriges Mädchen

Notfallsprechstunde am 25.12.: Die fünfjährige Lisa verschluckte sich an einer Gräte vom Forellenfilet, die in ihrem Hals steckengeblieben (Innerer Hals – Gräte oder: innerer Hals – Speisen – stecken; bleiben im Hals) zu sein und auch die Atmung zu behindern schien. Ganz gleich, was die Mutter versuchte, die Gräte verschwand nicht, und das kleine Mädchen bekam entsetzliche Wein- und Schreianfälle (Gemüt – Hysterie – Atmung; mit Beschwerden in Bezug auf die). Sie ängstigte sich, an der Gräte zu ersticken und schrie und weinte immer wieder in Anfällen (Gemüt – Schreien – anfallsweise).
„Was war los?“ ist immer meine erste Frage am Telefon oder bei akuten Fällen in meiner Praxis, nachdem die Eltern oder das Kind mir von ihrer Not erzählen. „Das erste Weihnachten ohne Papa!“, war die Antwort. „Er wollte vorbeikommen, hat dann aber sein Versprechen nicht gehalten (Gemüt – Beschwerden durch – Enttäuschung – neue, vor kurzem erlebte) und auch nicht angerufen.“

Verordnung: IgnatiaC 200
Wir konnten uns nach Ignatia C 200 den Besuch beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt ersparen. Es gab keine Gräte! Es gab nur einen unaussprechlichen Schmerz wegen der Trennung, an der vor allem auch die Mutter litt. Diese neue Enttäuschung überlagerte das Weihnachtsfest. Kinder lieben beide Eltern. Und hier waren alle traurig. Der Vater ertränkte seine Traurigkeit in Alkohol. Lisa wollte die Mutter nicht auch noch mit ihrem Kummer belasten, und so wählte sie unbewusst ein unverfängliches, körperliches Symptom, um Hilfe zu bekommen.

Fieber und Pseudo-Krupp-Husten – 3-jähriges Mädchen (Erstverordnung)

Kathy war drei Jahre alt. Sie hatte Fieber und schrecklich bellenden Husten (Husten – bellend), der sich wie Pseudo-Krupp anhöre (Husten – kruppartig), sagte die Mutter am Telefon. Sie kam wenige Stunden später mit Kathy in die Praxis. Schon zu Hause hatte Kathy der Mutter angekündigt, sie würde nicht mit mir sprechen (Gemüt – empfindlich – Menschen; gegen die Anwesenheit anderer). Das sonst ausgesprochen freundliche und neugierige Kind war wirklich schlecht gelaunt (Gemüt – mürrisch – Kindern; bei). Sie spielte nicht wie sonst mit den Spielsachen, sondern saß mit gesenktem Kopf schwer und traurig auf dem Schoß ihrer Mutter (Gemüt – Spielen – Abneigung gegen Spielen – Kindern; bei). Die Mutter erwähnte, gerade abends würde Kathy wegen Kleinigkeiten total ausrasten (Gemüt – heftig, vehement – abends – Kleinigkeiten, über). Kathy antwortete mir nicht, ich durfte sie auch nicht anfassen (Gemüt – Angst – berührt zu werden). Still saß sie auf dem Schoß der Mutter und zupfte an ihren Ärmeln (Gemüt – Gesten, Gebärden; macht – Hände; unwillkürliche Bewegungen der – zupft – Bettwäsche; an der – Fieber; während). Ich fühlte deutlich, dass sie mir zeigen wollte, wie beleidigt und traurig sie ist und fragte sie, ob ich denn mit der Mutter über sie sprechen könnte. Durch ein Nicken mit dem Kopf stimmte sie zu. Die Eltern hätten wenig Zeit für Kathy, erzählte die Mutter, weil beide mit Hausbau, ihren Berufen und ihrer Beziehung beschäftigt wären. Es gebe viele Streitereien, und die Trennung scheine nicht weit (Gemüt – Beschwerden durch – Uneinigkeit zwischen – Eltern; den eigenen). Kathy sei oft bei Freunden untergebracht, da könne sie mit anderen Kindern spielen und sei sehr gut versorgt. Aber jetzt wäre sie plötzlich krank geworden.

Verordnung: Hepar sulfuris C 200

Verordnung und Follow-ups
Kathy wollte das Arzneimittel nicht einnehmen (Gemüt – Arzneimittel, homöopathische – Abneigung gegen). Ihre Mutter und ich konnten das akzeptieren. Ohne ein Wort verließ Kathy die Praxis. Ich schaute zum Abschied noch einmal freundlich in ihre traurigen Augen. Sie hatte es tatsächlich durchgehalten und kein Wort mit mir geredet! Es kam mir vor, als wollte sie sich versichern, ob ich sie auch noch gern hätte, wenn sie sich so trotzig benehmen würde. Von ihrer Mutter nahm sie das Heilmittel dann zu Hause ein, und nach einer guten Erstreaktion setzte die Heilung ein.

Fieber und Pseudo-Krupp-Husten – 3-jähriges Mädchen (Folgeverordnung)

Drei Monate später rief die Mutter erneut an, Kathy habe wieder bellenden Husten. Die Beziehung der Eltern war etwas besser geworden. Es war kurz vor Weihnachten (Gemüt – Beschwerden durch – Erregung – Gemütes; des – Kinder sind zu bestimmten Zeiten krank), als Kathy mit einem kleinen Jungen Doktorspiele spielte. Außerdem stand Weihnachten mit dem Weihnachtsmann bevor: Es gab also viele Eindrücke, auf die Kathy mit großer Aufregung reagierte. Die Mutter schimpfte oft mit ihr, weil sie laut und unruhig war (Gemüt – Beschwerden durch – Tadel). Von Zeit zu Zeit hatte Kathy große Angst, dass etwas passieren, Angst, dass „Mama weggehen würde“. (Gemüt – Angst – anfallsweise). Einmal pro Woche hatte sie einen Albtraum. Im Traum fiel sie in ein Loch, aus dem sie nicht mehr herauskam (Träume – Fallen, zu stürzen; zu).

Verordnung: Belladonna C 200.
Nach drei Monaten hörte ich erneut von der Mutter und Kathy. Die Mutter war schwanger, verlor aber ihr Baby in der 12. Woche. Alle waren darüber traurig (Gemüt – Beschwerden durch – unglücklich sein). Kathy träumte jetzt von Spinnen, die sie bedrohten (Gemüt – Furcht – Spinnen, vor). Sie konnte nicht mehr alleine sein und fürchtete sich in der Dunkelheit (Gemüt – Angst – Dunkelheit; in der). Neuerdings hatte sie auch Angst vor Hunden (Gemüt – Furcht – Hunden, vor).

Verordnung: Stramonium C 200.
Häufig brauchen Kinder für verschiedene Erkrankungen dasselbe Akutmittel, das zuvor in akuten Situationen bereits angezeigt war. Die Eltern wissen darum, wenn ich sie darüber aufkläre, und ich ermuntere sie, in akuten Fällen, ob nachts oder im Urlaub, das entsprechende Mittel zu geben, wenn es notwendig sein sollte. Wenn die Eltern mit dem üblichen, für ihr Kind akuten Heilmittel keinen Erfolg haben, müssen sie sich vom Behandler oder homöopathischen Notdienst helfen lassen. „Aconitum habe ich schon gegeben!“, sagt dann Mutter oder Vater, wenn das Kind jetzt für den Pseudo-Krupp ein anderes Mittel braucht, oder „Ferrum phosphoricum hat dieses Mal nicht gewirkt, was kann ich stattdessen geben?“
Bei Kathy war es aufgrund der schwierigen Familiensituation anders. In der Zeit der Verordnung von Hepar sulfuris war sie sauer auf ihre Eltern, dass diese nicht mehr genügend Zeit für sie hatten und ihr nicht mehr genügend Fürsorge und emotionale Sicherheit zukommen ließen. Belladonna half später ihrem überreizen Nervensystem, wieder zur Ruhe zu kommen. Als die Mutter in die Klinik musste und ihr Baby verlor, fühlte sich Kathy allein in der Welt, die ja für ein Kind oft wie eine Wildnis wirkt (Gemüt – Wahnideen – allein zu sein – Wildnis; allein in der).

Diarrhö – 1½-jähriges Mädchen

Die kleine Sophie war 18 Monate alt. Die Mutter rief mich um 18:30 Uhr an und bat um einen Hausbesuch, weil das Kind so hohes Fieber hatte. Ich kannte diese Familie noch nicht. Als ich eintraf, saß die Mutter mit dem hoch fiebernden Kind in einem Sessel, die zehnjährige Schwester öffnete mir die Tür. Der Vater war nicht anwesend. Seit sechs Tagen hatte Sophie bräunlichen, schleimigen Durchfall (Rektum – Diarrhö – Kindern; bei), der nach Gülle riecht und unverdaute Nahrungsreste enthält (Stuhl – unverdaut). Sie hatte schon einmal an einem Tag gefiebert, dann aber nicht mehr. Jetzt war das Fieber seit zwei Tagen sehr hoch (um 40°C), Sophie ließ aber generell kein Thermometer an ihren Körper. Das Fieber hatte erneut eingesetzt, nachdem ein Darmtherapeutikum verordnet worden war. Sophie hatte gut getrunken und den ganzen Tag über Salzstangen gegessen, berichtete die Mutter. Das Kind wirkte schwer krank und sehr erschöpft. Sophie sah unglücklich aus (Gesicht – Ausdruck – bedrückt, gequält – Kindern; bei – krank sind, wenn sie). Sie lag auf dem Körper der Mutter, als wäre sie zu schwach, um den Kopf aufrecht zu halten (Kopf – halten – hoch, aufrecht zu halten; unfähig, den Kopf – Schwäche; aus). Das Gesicht war blass und gedunsen, die Augen eingefallen und die Nasolabialfalte war sehr ausgeprägt (Gesicht – Nasenlinie ausgeprägt). Sie wirkte abwesend und stellte keinen Kontakt zu mir her, ihre Augen schauten ins Leere. Der Bauch war stark geschwollen.
Die Mutter berichtete weiter, dass der Vater seit einer Woche auf Geschäftsreise und Sophie noch nie von ihm getrennt gewesen sei. Als ich der Mutter erklärte, dass Sophie Sehnsucht nach ihrem Vater habe und so etwas wie Liebeskummer, stand Sophie für einen Moment auf, stellte sich in den Raum und weinte herzzerreißend (Gemüt – Kummer, Trauer – still). Danach ging sie zurück, legte sich wieder in die Arme ihrer Mutter und schlief ein.

Verordnung: Aethusa 200.
Ich bat um einen Kontrollanruf am nächsten Morgen. Zwölf Stunden später der Bericht der Mutter: Die Nacht sei ruhig gewesen. Das Fieber wäre heruntergegangen, ihr Stuhlgang sei noch dünn, aber Sophie habe gute Laune, spiele und lache. Nach einigen Tagen hatte die Mutter das Gefühl, Sophie sei noch nicht wirklich wieder auf den Beinen. Calcium carbonicum in der C 200 verhalf ihr zu guter Gesundheit und blieb dann auch ihr „chronisches Heilmittel“.
In diesem Fall war das Aethusa-Bild sehr klar sichtbar, vielleicht, weil das kleine Mädchen vorher noch nie ein anderes homöopathisches Mittel bekommen hatte. Außerdem hatte die Mutter sich für einen akuten Fall recht spät gemeldet. Es ist oft verwirrend, wenn wir zu früh ein Heilmittel verordnen, nämlich dann, wenn das Krankheitsbild noch nicht deutlich sichtbar ist. Es ist besser abzuwarten und dann zu verordnen, wenn sich das Heilmittel gut sichtbar mit Symptomen am Körper des Kindes zeigt.
Der Gedanke einen geliebten Menschen zu verlieren, ist für Aethusa-Patienten unerträglich. Da Kinder ein anderes Zeitgefühl als Erwachsene haben – eine Woche Trennung kann wie ein Abschied oder Verlust für immer sein – ist Aethusa in der Kinderpraxis ein häufiges Heilmittel. Kinder haben intensive Gefühle, so wie es Vithoulkas für Aethusa-Patienten beschreibt: Sie lieben mit ihrem ganzen Herzen und müssen erst das Vertrauen entwickeln, dass nach einer längeren Trennung die geliebte Person zurückkehrt.
In einem „scheinbar akuten Fall“, d.h. bei einer Heilreaktion auf ein vorher verabreichtes Mittel für ein chronisches Geschehen, dürfen wir keinesfalls – wie oben erwähnt – mit einem weiteren Heilmittel eingreifen!
Wenn meist ängstliche Eltern, die zum ersten Mal mit ihrem Kind in homöopathischer Behandlung sind, zu großen Druck machen, sollten wir den Fall engmaschig überwachen, z.B. mit Placebos oder äußeren Anwendungen (z.B. Wickel) das Kind begleiten. Eltern, die mit ihren Kindern schon längere Zeit in homöopathischer Behandlung sind, gehen deutlich ruhiger mit Heilreaktionen und akuten Krankheiten um. Aufklärungsarbeit ist also auch in diesen Fällen von großer Wichtigkeit. In Scheidungs- oder Trennungssituationen wäge ich sehr sorgfältig ab, ob die Eltern ein schwerkrankes Kind emotional tragen können.

Pneumonie – 4-jähriger Junge

Thorben war gerade vier Jahre alt, als die Mutter den Vater verließ. Die Eltern waren sehr zerstritten und uneins. Die Mutter bat mich um einen Hausbesuch, weil der Kleine nicht mehr aufstehen wollte, das ganze Wochenende hatte er nur im Bett gelegen. Er würde nur noch schlafen. Als ich das Kind in seinem Bettchen untersuchte und die Lunge abhörte, reagierte er kaum. Die Gesichtshaut war blass-bläulich und er hatte ein graues Munddreieck.

Verordnung: BacillinumC 200.
Nach der Verordnung schickte ich die Eltern sofort zum Kinderarzt. Die Kinderärztin bestätigte meine Verdachtsdiagnose: Pneumonie. Ich habe darauf bestanden, Antibiotika zu geben, weil mein Gefühl war, dass weder Vater noch Mutter in der Lage waren, das Kind durch diese Lungenentzündung mit homöopathischen Mitteln zu begleiten. In diesem Fall hatten die Eltern aufgrund des eigenen Kummers und wahrscheinlich auch wegen der Schuldgefühle gegenüber ihren Kindern den Zustand von Thorben ignoriert und für eine akute Krankheit viel zu lange gewartet. Erstaunlich schnell erholte sich Thorben von der Lungenentzündung, und obwohl die Eltern dann noch über Jahre schwere Konflikte auszutragen hatten, gab es kein Rezidiv.
Das Folgemittel war Tuberculinum.

Arzneimittel und Arzneimittelbeziehungen

Arzneimittelbeziehungen helfen enorm bei der Behandlung akuter Fälle, wenn wir vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen. Wenn das chronische Mittel Calcium carbonicum ist, dann ist in akuten Fällen oft Stramonium, Belladonna, Cina, Rhus-t. oder Hepar sulfuris angezeigt. Causticum-Patienten brauchen akut bevorzugt Staphisagria oder Colocynthis, bei Cuprum-Babys kommt später oft Calcium carbonicum und bei Pulsatilla häufig Silicea zur Anwendung. Natrium muriaticum ergänzt sich gut mit Apis, Bryonia und Ignatia.

Häufig angezeigte Arzneimittel bei Kinderkrankheiten:

  • Bei akuten Kinderkrankheiten sind häufig Heilmittel aus der Pflanzenfamilie der Solanaceae (Nachtschattengewächse) angezeigt. Nicht zuletzt aus dem Grund, weil Kinder als höchst empfindsame Wesen schnell erschreckt und verunsichert sind. Für Erwachsene völlig normal verlaufende Vorgänge können den kindlichen Organismus in Angst und Schrecken versetzen. In der Kinderheilkunde benötigen wir aus der Familie der Solanaceae insbesondere Belladonna, Capsicum, Hyoscyamus und Stramonium. Belladonna und Stramonium können sich im Anfangsstadium sehr ähnlich darstellen und sind gerade für Anfänger nicht so leicht zu differenzieren. Wenn bei hohem Fieber Hände und Füße kalt sind, ist Belladonna angezeigt. Ist das Kind in der Praxis, berühre ich es, um mir sicher zu sein, bei telefonischer Verordnung bitte ich die Eltern, dies zu prüfen.
  • Nach den Solanaceae, unseren alten Hexenkräutern, sind nach meiner Erfahrung die Ranunculaceae die Pflanzenfamilie, die am zweithäufigsten zur Anwendung kommt. Und hier sind die Spitzenreiter Aconitum, Pulsatilla und Staphisagria. Verletzte Gefühle, Schockerlebnisse, das Gefühl zurückgesetzt zu sein, vergessen zu werden, Kränkungen, Demütigungen und Scham sind die Hauptthemen.
  • Auch die Liliengewächse, wie z.B. Veratrum album, Allium cepa oder Agraphis nutans, sind wichtige Helfer bei akuten Krankheiten. Die Themen hier sind: sich im Stich gelassen fühlen, verwahrlost zu sein und das Grundgefühl: Die anderen haben kein Interesse an mir, eigentlich bin ich nicht ganz gewollt, so wie ich bin (Rajan Sankaran).
  • Die Compositae, sprich: Verletzungsmittel, z.B. Chamomilla und Arnica montana, haben einen ebenso großen Stellenwert in der Akutbehandlung.

Doch kann letztendlich jedes Heilmittel aus der Materia medica eine gute Medizin für eine akute Erkrankung sein, sei es Bryonia, Rhus toxicodendron, Phosphorus, Ferrum phosphoricum oder Lycopodium – sie alle helfen die Lebenskraft anzuregen, damit das Kind im Lebensprozess gesund bleiben kann. Denn das, was für Erwachsene im Lebenslernprozess alltäglich ist, muss ein Kind erst lernen. Wichtig ist das Wissen darum, dass jede akute Krankheit wieder bei jedem Kind anders, neu, ganz speziell und für die jeweilige Lebenssituation notwendig zu sein scheint.

Ohrenschmerzen – 11-jähriges Mädchen

Lara war 11 Jahre alt und hatte Ohrenschmerzen. Der Vater hatte gerade zum dritten Mal die Familie verlassen und kümmerte sich wenig um seine Kinder (Gemüt – Beschwerden durch – Kummer – stiller Kummer). Die berufstätige Mutter hatte für die akuten Ohrenschmerzen bereits Belladonna gegeben. Allerdings hat das Mittel die Schmerzen nicht verändert. Zwei Tage später sah ich Lara bei einem Hausbesuch. Die Mutter hatte mich angerufen, weil ihre Tochter das Bett nicht mehr verlassen wollte. Sie hätte eine absolute Gleichgültigkeit dem täglichen Leben gegenüber entwickelt und könne sich an nichts mehr freuen (Gemüt – Gleichgültigkeit, Apathie – Freudlosigkeit). Blass und etwas aufgequollen im Gesicht, mit bläulichen Ringen unter den Augen (Gesicht – Farbe – bläulich – Augen – um die Augen; Ringe), aber ganz ruhig lag sie im Bett. Sie hatte weiterhin Ohrenschmerzen, und begleitend dazu war eine große lähmungsartige Schwäche aufgetreten (Allgemeines – Schwäche – lähmungsartig). Die brennenden Ohrenschmerzen waren auf das rechte Ohr beschränkt, sie traten mehr im Sitzen (Ohr – Schmerz – brennend – rechts) auf. Lara wollte nicht mehr in die Schule gehen (Gemüt – Schule – Abneigung gegen die), hatte keine Lust, Freunde zu treffen und lag nur noch im Bett vor dem Fernseher. Als ich sie fragte, ob sie traurig sei, antwortete sie mir nicht (Gemüt – Antworten – Abneigung zu antworten), wich meinem Blick aus und schüttelte den Kopf (Gemüt – angesehen, angeblickt zu werden – weicht den Blicken anderer aus – angesprochen wird; wenn er). Sie verleugnete den Schmerz und wirkte, als wäre sie in ihrer eigenen Fernsehwelt, in der sie den Kummer betäubte, glücklich.

Verordnung: Natrium muriaticum C 1000.
Natrium muriaticum C 1000 half schnell. Schon am Nachmittag verließ sie das Bett und rief ihre Freundin an, damit sie zusammen spielen könnten. Hier wird deutlich, dass die Mutter mit Belladonna das falsche Mittel gegeben hatte.

Wenn wir in einer akuten Krankheit das falsche Mittel gegeben haben, zeigen sich die Symptome des richtigen Mittels noch ausgeprägter. Durch ein falsch gewähltes Arzneimittel wird das Kind nicht gesünder, sondern es wird mit jedem falschen Mittel immer mehr in die Pathologie des Krankheitsgeschehens hineingedrückt. Finden wir das richtige Mittel jetzt nicht, dann wird das Kind zum Kinderarzt oder in die Klinik müssen. Darum ist es wichtig, nicht zu viele Heilmittel nacheinander zu verabreichen, sondern zu warten, bis das richtige Arzneimittel sichtbar wird.

Aber zurück zu Lara. Zehn Tage später rief sie mich wieder an. Das Ohr war wie zugefallen, und als ich sie fragte, wie es sich anfühle, sagte sie: „Wie mit Wolle verstopft.“ (Ohr – Verstopfungsgefühl – Wolle; wie mit). Da Pulsatilla über viele Jahre ihr Konstitutionsmittel war, gab ich ihr dieses in der C 200. Sie wurde in diesem Krankheitsfall damit ganz gesund. Natrium muriaticum C 1000 reichte nicht allein aus, um die Lebenskraft bei diesem tiefen Kummer vollständig zu stärken.

Wichtig ist immer wieder, daran zu denken, dass es bei der Behandlung von akuten Krankheiten keine Rezepte gibt!

Wir stehen bei jedem Kind und ebenso bei jeder akuten Krankheit immer neu vor der Herausforderung, die das Schicksal, das Leben oder die Schöpfung uns zuweist. Kinder, die nicht in einem Feld von Liebe, Vertrauen und Geborgenheit aufwachsen, sind häufiger akut krank, weil sie unglücklich sind. Chronische Krankheiten zeigen dann, dass die Störung schon tiefer gewandert oder fixiert ist.

Dosierung des Arzneimittels

Normalerweise gebe ich bei einer akuten Erkrankung eine C 200: Damit kann sich z.B. ein Belladonna- oder Chamomilla-Zustand schnell regulieren lassen. Aber es hängt immer davon ab, wie lange das Kind schon leidet – wie tief die Pathologie, wie schwer der Zustand ist. Danach richtet sich die Häufigkeit der Gabe. Zudem wird das Mittel während einer akuten Erkrankung vergleichsweise schnell verbraucht.
Die Wasserauflösung und das Verkleppern (höher Potenzieren) des Mittels kann durchaus bei jeder akuten Krankheit mit hohem Fieber oder quälenden Symptomen angebracht sein. Ebenso hilft bei Verletzungen oder Verbrennungen mit starken Schmerzen das verordnete Heilmittel in der Wasserauflösung, und das Kind kann selbst entscheiden, wann es wieder einen Schluck nehmen möchte.
Belladonna C 200 habe ich in einigen Fällen bei schweren Schmerzzuständen schon drei Nächte nacheinander verabreicht, Stramonium hingegen habe ich bislang nicht so häufig wiederholt. Wenn ich das Kind gut kenne, bin ich mutiger in der Wahl der Potenz, bei Kindern, die mir noch unbekannt sind, beginne ich lieber mit einer C 30. Die Wahl der Potenz und Häufigkeit der Gabe erfordert vom Homöopathen Einfühlungsvermögen und Intuition.
In der Regel brauchen wir bei einer akuten Krankheit ein, zwei, in seltenen Fällen auch drei verschiedene Heilmittel. So benötigt ein Kind mit Otitis media z.B. als Anfangsmittel Belladonna, danach werden ggf. die Symptome von Calcium carbonicum deutlich, und zum Abschluss der Erkrankung zeigt sich vielleicht ein deutliches Tuberculinum-Bild. Falls Tuberculinum angezeigt ist – so ist meine Erfahrung – liegt meist eine Impfung noch nicht lange zurück. (Allgemeines – Impfung; Beschwerden).

Beschwerden oder akute Krankheiten, die nach Impfungen auftreten, sind immer Kunstkrankheiten und als solche weitaus schwieriger zu behandeln.

In diesen Fällen sage ich den Eltern, dass das Abwehrsystem jetzt Roulette spielt! Insbesondere, wenn ein Kind durch die homöopathische Behandlung von einer chronischen Erkrankung geheilt wurde, bringt eine erneute Impfungen Eltern und Behandler zur Verzweiflung, weil das Kind nicht wie sonst auf die Heilmittel reagiert. Es kann bis zu einem Jahr dauern, bis sich der Organismus von diesem Angriff auf das Abwehrsystem erholt hat. Leichter haben wir es bei akuten Krankheiten, wenn Kinder uns die Wahnidee direkt mitteilen oder über Träume beschreiben.

Angina tonsillaris – 5-jähriges Mädchen

Merle war 5 Jahre alt. Sie hatte Angina tonsillaris. Die Mutter hatte schon Belladonna gegeben, ohne Erfolg. Merle war am Wochenende beim Vater, was in der Regel recht anstrengend und auch enttäuschend für sie war. Die neue Frau des Vaters hat auch zwei Kinder, und mit all den fremden Menschen muss sie nun Papa teilen. Sie erzählte mir einen Traum am Telefon: „Mein Kopf hat sich ganz schnell im Kreis gedreht!“ (Gemüt – Wahnidee – Kopf – Kreis herum drehen; der Kopf würde sich im).

Verordnung: Tuberculinum C 200.
Bacillinum und Tuberculinum sind häufig in anstrengenden Familiensituationen angezeigt. Bacillinum hat sich im Praxisalltag als das akute Tuberculinum herauskristallisiert. Bei diesen beiden Heilmitteln geht es um den Überlebenskampf. Das bedeutet, ein Kind erlebt Liebes- und Revierverlust (die Präsenz der Eltern, z.B. den Schoß der Mutter) durch die Geburt eines Geschwisterkindes. Wenn das Kind immer das kleinste war, fühlt es sich an, als wäre sein Überleben akut bedroht, weil die Mutter plötzlich besetzt ist. Symptome wie Atemnot, Fieber und Husten sind dann der Ausdruck dafür, dass die Gefühle zu übermächtig sind, und die akute Erkrankung den Zweck erfüllt, wieder im Mittelpunkt stehen zu dürfen.
Bei Merle war die Enttäuschung durch das Weggehen des Vaters groß, und jetzt musste sie ihn auch noch mit zwei anderen Geschwistern teilen, außerdem war ihr Zuhause bei der Mutter und somit war sie im Haus des Vaters in einer revierschwachen Position gegenüber den neuen Geschwistern. Merles Angina heilte ohne weitere Mittel innerhalb weniger Tage ab.

Fieber – 3-jähriger Junge

Die Mutter des dreijährigen Tom rief an und berichtete entsetzt, ihr Kind würde überall auf dem Bett Schlangen sehen (Gemüt – Wahnideen – Schlangen – in ihr und um sie herum). Er hatte am Nachmittag mit älteren Kindern gespielt, dabei sehr wild getobt (Gemüt – Anstrengung – körperliche Anstrengung – Verlangen nach), war aber leider in allen Spielen der Letzte gewesen, was ihn sehr mitgenommen hatte (Gemüt – Beschwerden durch – Ehrgeiz – enttäuscht). Er bekam sehr hohes Fieber, phantasierte, schreckte immer wieder aus dem Schlaf hoch und fürchtete sich vor all den Schlangen auf seinem Bett (Gemüt – Auffahren, Zusammenfahren – Schlaf – aus dem Schlaf – Fieber; während).

Verordnung: Belladonna C 200.
Eine Gabe Belladonna C 200 beruhigte die ganze Situation, und am nächsten Morgen ging es dem Kleinen gut.

Einschlafstörungen – 11-jähriges Mächen

Ein anderer Fall von Schlaflosigkeit wurde durch Pulsatilla geheilt. Eva war 11 Jahre alt und sehr eifersüchtig auf den neuen Freund ihrer Mutter. Sie konnte nicht mehr einschlafen, weil sie so große Angst hatte. Sie konnte aber auch nicht sagen, was eigentlich los war (Gemüt – Ausdrücken; sich – kann sich nicht ausdrücken), und die Mutter konnte ihr nichts recht machen. Trotzdem hing sie total an ihr und konnte ohne die Anwesenheit der Mutter kaum sein (Gemüt – abhängig von anderen). Wenn sie diese Zustände hatte, ging der Freund der Mutter nach Hause, und sie konnte im Bett der Mutter schlafen. Sie hatte richtiges Grauen davor, alleine im eigenen Bett zu schlafen. Sie versuchte es immer wieder, aber es gelang ihr nicht (Gemüt – Angst – Bett – treibt aus dem Bett). Vor lauter Angst konnte sie nicht einschlafen (Gemüt – Angst – Schlaf – Einschlafen, beim).

Verordnung: Pulsatilla C 200.
Pulsatilla gab Eva innerhalb einiger Wochen die Möglichkeit, sich mehr von der Mutter zu lösen und wieder in ihrem eigenen Bett zu schlafen. Die Einschlafprobleme sind kein Thema mehr.

Erbrechen und Durchfall – 4-jähriger Junge

Leon hätte die ganze Nacht erbrochen, was auch nicht aufhörte, als er nur noch Galle (Magen – Erbrochenen; Art des – Galle) erbrach, erzählte die besorgte Mutter am Morgen. Außerdem habe er hohes Fieber. Er könne schon nicht mehr laufen und wolle nur getragen werden (Gemüt – Getragen – Verlangen getragen zu werden). Der Bauch tue ihm auch weh, und gestern hätte er Durchfall gehabt. Nicht einmal Wasser bleibe in seinem Magen. Der vierjährige, blonde, hellhäutige Junge (Allgemeines – Aussehen – hell, blond) lag auf einer Matratze im Aufenthaltsraum des Hotels, umgeben von seinen zwei spielenden Geschwistern. Er war gerade aufgewacht und starrte vor sich hin (Auge – Starren, Stieren – Erwachen, beim), um dann nach krampfhaftem Würgen wieder zu erbrechen (Magen – Brechreiz, Würgen – anhaltend). In seinem erschöpften Gesicht war vor allem die Blässe um den Mund herum auffallend (Gesicht – Farbe – blass – Mund, um den), um die Augen hatte er bläuliche Ringe (Gesicht – Farbe – bläulich – Augen – um die Augen; Ringe). „Wenn er schläft, sind seine Augenlider nicht ganz geschlossen“, bemerkte die Mutter (Auge – offene Augen, geöffnete Lidspalte – Schlaf; im). Wir waren in Indien und die nächste Klinik war Tagesreisen entfernt. Der Zustand des Kindes war besorgniserregend, und ich nahm mir im Laufe des Tages nach der Mittelgabe immer wieder Zeit, ihn zu beobachten. Auffallend war jetzt schon, dass er immer wieder die Hände vor den Mund legte (Mund – bedecken – Hand; bedeckt den Mund mit der). Er hatte Durst, und wenn er zu schnell trank, erbrach er sofort wieder (Allgemeines – Trinken – schnelles, hastiges Trinken agg.). Als ich die Mutter fragte, was los gewesen wäre, fanden wir keine Causa: Es musste eine Infektion sein, die er sich in Indien zugezogen hatte.
Einige Tage vorher war er schon sehr launisch gewesen (Gemüt – Launenhaftigkeit, launisch – weist Dinge zurück, die er haben wollte, sobald er sie bekommt – Kindern; bei) und wollte nur auf dem Arm sein. Er war auch eifersüchtig (Gemüt – Eifersucht – Kindern; bei) auf seine Geschwister gewesen und weinte wegen Kleinigkeiten. Er hatte sehr gelitten, als seine kleine Schwester vor einem Jahr geboren wurde, und es scheint, als würde er Mühe haben, seine Position als Kleinster aufzugeben.

Verordnung: Ipecacuanha C 30
Nach Ipecacuanha C 30 (höher hatten wir es nicht in der Reiseapotheke) trat eine gute Erstverschlimmerung auf, Leon erbrach im Laufe des Tages immer wieder. Ich ließ das Mittel noch einmal geben und am nächsten Morgen fand ich ihn müde, erschöpft und vom Gewichtsverlust gezeichnet auf der Matratze liegend: Leichtes Essen stand neben ihm, der Geruch schien ihm keine Übelkeit mehr zu bereiten. Leon war durch den Säfteverlust so sehr geschwächt, dass er nur für kurze Zeit sitzen konnte (Allgemeines – Schwäche – Säfteverlust; durch). Er wirkte abwesend, wie in einer anderen Welt. China officinalis hatte ich nur in der C 6 dabei, aber 30 Minuten nach der Gabe stand er von seinem Lager auf und begann, mit seinen Geschwistern zu spielen. Die restlichen Urlaubswochen hat er gut und gesund überstanden.

zurück zu Veröffentlichungen


Homöopathie Zeitschrift – Heft II / 07

Homöopathische Begleitung während der Pubertät

Jan war schon lange in großen Abständen immer wieder in homöopathischer Begleitung, das Asthma bronchiale und seine Neurodermitis waren ausgeheilt. Jetzt, im Alter von dreizehn Jahren bedrohte er einen anderen Jungen mit einem Messer und die erschreckten Eltern kamen erneut mit ihm in die Sprechstunde. Mercurius solubilis C 1000 half ihm, seine Aggressionen wieder in den Griff zu bekommen. Siri hatte Anfälle von Hysterie und Aggressionen gegen ihre Mutter und ihren neuen Stiefvater, sodass sie die gesamte Familie tyrannisierte und Türen eintrat. Hyoscyamus und Tarentula hispanica halfen ihr auf den Weg zurück in ihre Mitte. Anacardium war ein erfolgreiches Mittel für ein junges Mädchen mit schwerer Anorexie, in einem anderen Fall war es Latrodectus mactans. Antimonium crudum half einem adipösen, schlecht gelaunten jungen Mädchen nicht nur, ihre Warzen zu verlieren, sondern auch, sich für ihren Traumprinzen zu öffnen. Sepia unterstützte ein junges Mädchen nach einem Schwangerschaftsabbruch und half anderen jungen Mädchen, sich einer Beziehung und der erwachenden Sexualität zu stellen. Und natürlich war Ignatia viele Male bei Liebeskummer notwendig.

Kaum eine Entwicklungsstufe ist so bedeutungsvoll wie die der Pubertät. Denn die gewaltige Kraft der Sexualität wird lebendig und der junge Mensch ist diesen unbekannten Gefühlen fast hilflos ausgeliefert. Das Kind verschließt nicht nur die Badezimmertür, sondern auch sich selbst emotional und wird schnell aggressiv oder entflieht. Es entdeckt die Veränderungen am Körper mit Scham oder Freude, je nachdem, wie offen die Thematik im Elternhaus betrachtet und besprochen wird.

Pubertät – Zeit des Sturm und Drangs

Als Pubertät wird der Teil der Adoleszenz bezeichnet, in welchem der entwicklungsphysiologische Prozess der Geschlechtsreifung erreicht wird, und im weiteren Verlauf auch zu einem ausgewachsenen Körper führt.
Die der Pubertät zugrunde liegende hormonelle Veränderung beginnt im achten oder neunten Lebensjahr. Durch die Ausschüttung von Wachstumshormonen und Thyroxin kommt es zu Wachstumsschüben und das Kind verändert sich sichtlich. Gleichzeitig beginnt die sexuelle Reifung durch die Produktion von Östrogenen und Androgenen, beide werden im Körper von Mädchen und Jungen gebildet, nur in unterschiedlich hohen Konzentrationen. Die Pubertät wird bei Mädchen im Alter zwischen dem 10. und 18. Lebensjahr durchlaufen, bei Jungen zwischen dem 12. und 20. Lebensjahr. Beginn und Verlauf der Pubertät wird aus Sicht der konventionellen Medizin in erster Linie genetisch gesteuert, wobei dem Pubertätsgen GPR 54 eine besondere Bedeutung zukommt.
Nicht nur der junge Mensch erlebt die Pubertät mit all den Stürmen, auch Eltern und Geschwister. Wenn der Pubertierende seine Grenzen austestet, sind Eltern und Lehrer gefordert, den richtigen Maßstab zu finden zwischen Halt geben und Loslassen. Stimmungsschwankungen, Selbstüberschätzung und Selbstwertmangel gehören zum normalen Tagesablauf. Das Kind lernt mehr und mehr, Eigenverantwortung für sich und seine Handlungen zu übernehmen. Das ist ein schwieriger Prozess, weil bis dahin für die letzte Entscheidung immer die Eltern zuständig waren. Gleichaltrige und Freunde geben Sicherheit in dieser unsicheren Zeit, deshalb findet die typische Cliquenbildung, in der die Kinder Zigaretten, Drogen und ihre Sexualität ausprobieren, besonders während der Pubertät statt. Es geht ums Erforschen, es geht darum, in unbekannte Lebensräume einzudringen und sie sich selbst zu Eigen zu machen, um sich in der Welt der Erwachsenen zurechtzufinden.

Sich selbst zu finden in einer Welt, die sich stets darum bemüht, alle Menschen gleichzumachen, ist ein langer, oft auch schmerzvoller Prozess, den jeder Mensch zu durchlaufen hat, der jedoch in der Pubertät besonders heftig ist, weil viele unbekannte Gefühle und Situationen integriert werden wollen. So z. B. Zweifel und Unsicherheit, denn die Pubertierenden fühlen sich nicht mehr als Kind, aber die Welt der Erwachsenen erscheint oft unverständlich und mysteriös. Die inneren Gefühle von Unzulänglichkeit werden nach außen projiziert. Diese schwierigen Gefühle „ernten“ insbesondere die Menschen, die sie am meisten lieben: Mutter und Vater: Auseinandersetzungen, Streitereien und Abgrenzungsprozesse sind an der Tagesordnung: „Ich lass mir nichts mehr sagen!“, ist ein oft gehörter Satz. Das sonst eher angepasste Kind geht durch Phasen von Wut, Trotz und Auflehnung. Zurückgezogenheit wechselt mit Rebellion und Aufruhr. Nicht umsonst sind Quecksilber, Sulphur und Tuberkulinum wichtige Heilmittel für diejenigen Jugendlichen, die rebellieren, etwas riskieren und ausprobieren wollen und nach Anarchie schreien. Ebenso angezeigt sind Wachstumsmittel und für die eher angepassten Jugendlichen Calcium phosphoricum, Pulsatilla, Silicea, Acidum phosphoricum und Phosphorus.

Pubertierende Jugendliche in der homöopathischen Praxis

Behandeln wir die Kinder seit ihrer Geburt oder ihrer Kleinkindzeit, sollte eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen Heranwachsendem und Behandelndem Homöopathen gegeben sein. Tabuthemen sprechen diese Jugendlichen viel leichter an, wenn wir eine Vertrauensbeziehung aufbauen konnten. So habe ich das in meiner Praxis häufig erlebt. Oft bin ich die Erste, die erfährt, dass die Kinder/Jugendlichen Drogen genommen oder ersten Liebeskummer haben und über ihre ersten sexuellen Erfahrungen oder die Essstörung sprechen. Das erfordert ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen und Lebenserfahrung. Sie brauchen einen stummen Zeugen, der ihnen beisteht und vorurteilsfrei ihren Berichten über sexuelle Übergriffe oder Horrortrips lauscht. An so manche Wunde musste ich mich immer und immer wieder heranpirschen, weil das Trauma (z.B. Vergewaltigung, sexueller Übergriff) im Gespräch umgangen und aus Scham ausgeklammert wurde. Hier gab mir oft die hilfreiche Symbolsprache der Träume Hinweise auf Verdrängtes, so dass ich mich den vermuteten Themen im Gespräch vorsichtig annähern konnte. Es ist wichtig, dass die Kinder über Schocks und Traumata sprechen, damit sich das Erlebte nicht als körperliche oder seelische Störung fixiert.

Die Phase der Adoleszenz ist typischerweise eine schwierige Übergangszeit, in der der behandelnde Homöopath Bemerkungen über das Aussehen und Verhalten des Pubertierenden tunlichst vermeiden sollte. Es sei denn, wir werden um Rat gefragt. Die Teenager sind sowie so durch ihre Entwicklung verunsichert und müssen erst lernen wie sie auf andere wirken. Sie verstecken sich gerne hinter einem viel zu langen Pony und schauen uns nicht direkt in die Augen. Möglicherweise kommt unser Sulfur-Mädchen mit der Akne im Gesicht schlampig mit den Kleidern ihres Bruders in die Praxis und wir finden nichts Mädchenhaftes an ihr wieder. Silicea-Mädchen oder -Jungen sind auch in der Pubertät schüchtern und haben Angst zu sprechen bei ihrem „Auftritt“ in der Praxis, sie bemühen sich alles richtig zu machen und leiden neben den brüchigen Nägeln auch daran, dass sich ein oder zwei Zähne einfach nicht zeigen wollen. Ihr schwaches Selbstwertgefühl äußert sich nicht nur durch Perfektionismus sondern auch dadurch, dass sie sich dauernd entschuldigen und nach Ausreden und Rechtfertigungen suchen. Der Medorrhinum-Jugendliche kommt möglicherweise bekifft in die Praxis und wir können ihn im Gespräch nur bedingt erreichen. Die Beziehung zu den Eltern ist dünn und brüchig, weil der junge Mensch sich durch Trennung oder Scheidung verlassen fühlt. Diese tiefe Verlassenheitserfahrung sitzt wie ein großer Schmerz in seiner Seele. Aggressionen und Zorn helfen dem Jugendlichen den unmittelbaren Ausdruck des Schmerzes abwehren. Medorrhinum-Teenager können sehr beliebte und liebenswerte Menschen sein, sie übernehmen in ihrer Gruppe oft eine Führungsrolle und tragen entscheidend zu den Aktivitäten ihrer Clique bei. Die Mädchen können sich schon sehr früh ausgesprochen verführerisch anziehen und tragen gerne tief ausgeschnittene Kleidung und kurze Röcke. Da die vorzeitige Produktion der Sexualhormone dafür sorgt, dass sich die sekundären Geschlechtsmerkmale früh herausbilden, entwickelt sich das Interesse an Sexualität oft sehr früh. Bei der 10-jährigen Anna wuchs nur eine Brust, so dass die Mutter einen Tumor befürchtete. Medorrhinum ließ auch die andere Brust wachsen und beseitigte den chronischen Fluor. Medorrhinum-Jugendliche können impulsiv und hitzig sein. Ihre Wutausbrüche können für andere erschreckend wirken, durch ihre starken Stimmungsschwankungen und die Impulsivität kann es sein, dass ihre Freunde sich entfernen .Aufgrund ihres schwachen Selbstwertgefühls sind sie schnell frustriert, leicht gelangweilt und können sich nicht gut entspannen. Sie neigen dazu an den Nägeln zu knabbern und ziehen die Haut um die Nägel ab. Faulheit und der Mangel an Motivation kann bei diesen Kindern schnell Probleme, vor allem auch in der Schule und beim Lernen verursachen. Wenn die Anforderungen zu groß werden, wird ihnen alles zuviel und sie werden ängstlich und verwirrt. Sie haben dann Schwierigkeiten ihre Hausaufgaben fertig zu machen, geben ihre Arbeiten nicht rechtzeitig ab und vergessen Arbeitsmaterialien in der Schule. Möglicherweise schwindeln sie den Eltern vor, mit den Hausaufgaben schon fertig zu sein, damit sie zu einer Verabredung gehen können. Erfahrungen in der Sexualität machen sie früh und wechseln auch die Liebespartner, um Erfahrungen zu machen.

Themen

Schwierigkeiten in der Schule

Schulschwierigkeiten, Lernblockaden und Konzentrationsschwäche ergeben sich bedingt durch die hohen Anforderungen in der Schule, die erwachende Sexualität, den ersten Liebeskummer, Revierkämpfe in den Cliquen, Beziehungsschwierigkeiten, Stress im Elternhaus.

Wachstumsbeschwerden

Wachstumsbeschwerden können auftreten als Ausdruck des seelischen Wachstums und der Ablösungsprozesse, die für den jungen Menschen anstehen.

Extremitäten – Schmerz – Unterschenkel – Wachstumsschmerzen
agar. ap-g. asaf. Aur. bell. calc-f. calc-p. Calc. cench. cimic. dros. Eup-per. ferr-act. fl-ac. GUAJ. hep. hipp. kali-p. m-aust. mag-p. mang. Merc. morg-p. nat-p. nit-ac. ol-j. PH-AC. PHOS. plan. sulph. Syph.

Allgemeines – Schmerz – Wachstumsschmerzen
acon. agar. ap-g. apiol. asaf. aur. bell. calc-f. calc-p. calc. cimic. conch. eup-per. Ferr-act. Guaj. hipp. kali-p. m-aust. mag-p. mang-act. mang. nat-m. nat-p. ol-an. PH-AC. phos. plan. sil. syph. vitamin-d

Skoliose und andere Knochenerkrankungen

Rücken – Krümmung der Wirbelsäule
acon. agar. ant-c. ASAF. aur. bar-c. Bar-m. bell. bry. CALC-F. calc-i. Calc-p. CALC-S. CALC. Carb-v. carbn-s. caust. cic. clem. coloc. Con. dros. dulc. ferr-i. hecla hep. ip. kali-c. lach. Lyc. MERC-C. Merc. mez. nat-c. nat-m. op. PH-AC. Phos. plb. psor. Puls. rhus-t. ruta sabin. sep. SIL. staph. SULPH. syph. tarent. ther. thuj. tub.
Rücken – Krümmung der Wirbelsäule – links; nach
calc-p.

Essstörungen (Bulimie und Anorexia nervosa)

Gemüt – Anorexia nervosa
arb-m. arg-n. ARS. asar. aur-m-n. aur. bacls-10. Brucel. caesal-b. calc. cann-i. carc. CHIN. chinin-s. chlorpr. coca coli. Cycl. des-ac. diphtox. enteroc. ferr. gent-l. gent-q. germ-met. hir. ign. influ. interf. kali-p. lac-f. lach. lat-h. lat-m. levist. levo. lob-c. loxo-lae. loxo-recl. med. merc. Nat-m. nat-p. perh. pert. ph-ac. phos. plat. prun-v. puls. rhus-t. sacch. sep. sil. staph. sulph. syc. tarent. Tetox. thuj. tub-a. tub-d. tub-m. tub. V-a-b. Vanad. verat. verat.

Gemüt – Bulimie
abies-c. abies-n. adam. agar. agath-a. alf. all-s. anac. ang. ant-c. ant-t. apoc. Aq-mar. ars. aur-ar. aur-i. aur. bell-p-sp. Bell. brass-n-o. bry. cadm-s. CALC. calen. cann-i. Carb-v. carc. carneg-g. caust. cham. CHIN. CINA cocc. coff. coloc. ephe-si. euph. ferr-s. ferr. fl-ac. glon. graph. hell. hep. Hyos. ign. iod. ip. kali-c. kali-m. kali-n. levo. LYC. mag-c. MERC. mosch. mur-ac. naja Nat-c. nat-m. nat-s. nux-m. nux-v. olib-sac. op. petr. phos. pitu-a. plat. positr. pseuts-m. psor. puls. raph. sabad. sacch. Sec. SEP. spig. spong. squil. stann. staph. stram. Sulph. sumb. tarent. thuj. V-a-b. Vanad. VERAT. zinc.

Verhaltensauffälligkeiten

Autoaggressives Verhalten, d. h. Selbsthass, indem sie ihre Aggression und ihren inneren Schmerz gegen sich selbst richten.
Gemüt – Reißt an etwas – sich am Körper, verletzt sich
ars. bell. cann-xyz. carc. cupr. cur. kali-p. plb. sec. STRAM. tarent. verat.
Gemüt – Verstümmelt seinen Körper
agar. am-f. ars. bac. bell. bor-pur. carc. chlol. choc. cupr. cur. dict. dig. helium heroin. hyos. lach. lat-h. lil-t. lith-c. lith-f. lith-i. lith-met. lyc. lyss. manc. med. nat-m. plb. positr. sec. staph. stram. syph. tab. tarent. tub.

Aggression und kriminelle Handlungen, die als Hilfeschrei zu verstehen sind und mit dem sie dokumentieren, dass sie Unterstützung und Führung brauchen
Drogenmissbrauch als Ausdruck einer inneren Resignation, wenn sie spüren, dass es in dieser Welt keinen Platz für sie gibt, an dem sie sich liebevoll verstanden und aufgehoben fühlen.

Suizidale Tendenzen, Depressionen, sexueller Missbrauch

Konflikte mit den Eltern, weil der Ablöseprozess so schmerzhaft ist, oder Trotzreaktionen, weil sie sich dem Druck der Eltern entziehen wollen, oder dominante Eltern, die Angst haben, ihre Kinder zu verlieren, was ja in der Tat so ist.
Epilepsie, die in der Pubertät auftritt. Ich vermute, dass hier die Kraft der Sexualität zu übermächtig ist und sich über die Energieentladung einen Raum verschafft. Aber auch Wut und Zorn, angesammelt in den bisherigen Lebensphasen, kann sich in einem epileptischen Anfall entladen. Auch ohne homöopathische Heilmittel kann die Epilepsie nach der Pubertät spontan verschwinden.
Impfkomplikationen müssen wir auch hier wieder bedenken, weil meistens im zwölften Lebensjahr noch einmal geimpft wird.

Verständnis und emotionale Unterstützung

Die Pubertät dauert ungefähr sieben Jahre. Während dieser Zeit wird das Kind mit vielen verschiedenen Themen konfrontiert. Nach Durchsicht vieler Krankenakten konnte ich erkennen, dass in dieser langen und tief greifenden Entwicklungsphase den Pubertierenden mehrere und unterschiedliche homöopathische Heilmittel verordnet werden mussten.

In einigen Fällen bin ich nach Abschluss der Pubertät wieder zum Konstitutionsmittel zurückgekommen. Auch hier würde ich sagen: In der Behandlung der Pubertät gibt es keine Rezepte, es gilt, wie bereits erwähnt, den Teenager in seiner Besonderheit als heranwachsendes Wesen mit seinen Lebensumständen zu verstehen, eine Beziehung zu ihm aufzubauen und nachzufühlen, wo es in der aktuellen Situation Hilfe braucht. Macht die Sexualität den Mädchen oft Angst, so geht es bei Jungen mehr um Durchsetzungsfähigkeit und Erfolg. Die Zeit der Pubertät verlangt auch von Homöopathen besonders viel Fingerspitzengefühl. Nicht umsonst sind die Calciumsalze häufige Heilmittel für Beschwerden in dieser Zeit. Die Kinder müssen eine sichere Situation zu Hause verlassen und wünschen sich dann doch wieder dahin zurück – wie es in einer Rubrik von Calcium phosphoricum beschrieben ist (Gemüt – Hause, zu – Verlangen, nach Hause zu gehen – auszugehen; und wenn er daheim ist).

Kopfschmerzen – 15-jähriges Mädchen

Maria ist im15. Lebensjahr, als sie zu mir in die Praxis kommt. Nach der Trennung der Eltern waren heftige Kopfschmerzen aufgetreten (Kopf – Schmerz – Kummer, durch). Sie ist ein sehr hübsches, sensibles Mädchen, gepflegt und mit gut frisiertem, feinem Haar. Ihr Kopfschmerz verschlimmerte sich beim Autofahren und im vollen Bus. Jeder Reiz verschlechterte die Kopfschmerzen, die sich vor jeder Krankheit (Erkältung) erneut einstellten.

Maria hatte fürchterliche Träume, die sich mit ähnlichem Inhalt wiederholten (Träume – wiederholende, sich). Im Mittelpunkt stand die Unfähigkeit, etwas zu tun (Träume – erfolglose Anstrengungen). Sie konnte nicht mehr laufen, nicht mehr reden, stand an einer Tür, die nicht aufging. Sie träumte auch, verfolgt zu werden. Früher hatte sie Angstphasen und befürchtete, dass unter dem Bett eine Hexe wäre. In einem anderen Traum „…kamen Einbrecher in unser Haus, ich verteidige mich und stehe dann als Heldin da!“ Sie ängstigte sich auch vor dunklen Männern und konnte nicht mehr in den Keller gehen aus Angst, dass jemand hinter der Tür stehen könnte. Weitere Ängste waren die im Dunkeln, bei Gewitter, an hochgelegenen Plätzen.

Sie mochte gerne unter Leuten sein und liebte es zu reisen. Durch die Trennung der Eltern war aber nur wenig Geld für sie und die Mutter geblieben, darum konnten sie weder reisen noch sich andere Wünsche erfüllen. Der Vater lebte bereits wieder mit einer anderen Partnerin zusammen. Meine Frage, ob die Trennung sie sehr berührt habe, verneinte sie. Für mich war deutlich, dass sie den emotionalen Schmerz verleugnete, ihn vor anderen Menschen verschloss. Sie schämte sich sichtlich und fragte: „Was sollen nur die Leute darüber denken, dass meine Eltern sich getrennt haben?“ (Gemüt – Beschwerden durch Scham).

Ihre Katze war gerade gestorben, was sie sehr traurig machte; sie weinte oft (Gemüt – Beschwerden durch – Kummer – kurz zurückliegenden; durch). Morgens mochte sie nicht gerne reden. Sie dachte, die anderen müssten doch wissen, was sie wolle. Maria hasste Unordnung, war immer sehr ordentlich und akkurat. „Nach außen muss immer alles perfekt sein!“, meinte sie. Tiere liebte sie sehr und wünschte sich, mit ihrem zukünftigen Mann auf einem Bauernhof zu leben. Sehr romantisch beschrieb sie, wie sie sich ihr Leben vorstellte. Es glich einem Leben aus der Fernsehwerbung. Sie würde gerne Lehrerin werden.

Die Mutter, mit der ich nach Abschluss unseres Gespräches noch kurz sprach, beschrieb ihre Tochter als sehr sensibel, weich und einfühlsam. Maria liebte es, Theater zu spielen. Als sie vor Kurzem eine Hauptrolle bekam, machten sich ihre Tics wieder bemerkbar, so wie früher. Eigentlich wiederholten sich diese bei nervlicher Belastung (Gemüt – Gesten, Gebärden; macht – Tics; nervöse). Sie schniefte dann durch die Nase und rollte die Augen. In unserem Gespräch konnte ich keine Tics beobachten, sie wirkte aber verkrampft und angespannt.

Verordnung: Ignatia C 1000 alle drei Monate, wodurch die Kopfschmerzen schnell verschwanden. Nach einem Jahr entwickelte sich ein deutliches Bild von Natrium muriaticum, weshalb Maria dieses Heilmittel in der C 200 und ein Jahr später in der C 1000 verordnet bekam.

Schlaflosigkeit, Drogenmissbrauch – 18-jähriger Junge

Anton war gerade 18 Jahre alt geworden. In großen Abständen war er immer wieder wegen eines Hautausschlags oder eines Infekts in homöopathischer Behandlung. Die Eltern lebten in einer guten Beziehung, Anton war das jüngste von vier Kindern. Seine großen Brüder waren schon ausgezogen. Sie verband eine gute Beziehung untereinander. Anton ist ein sympathischer Junge, der es liebte, sich mit seinen Freunden zu treffen und am Computer zu spielen. Er trank auch gerne Alkohol, möglicherweise hat er auch Rauschmittel konsumiert. Er absolvierte eine Lehre als Feinmechaniker und hatte schon früh den Führerschein. Die Heilmittel, die er im Laufe seines Lebens brauchte, waren Calcium carbonicum, Belladonna und Phosphorus. Ich hatte lange nichts von der Familie gehört, als die Mutter mich eines Tages besorgt anrief und erzählte, ihr Sohn könne nachts nicht mehr schlafen. Auf meine Frage, was denn los gewesen wäre, erzählte sie, dass Anton mit Freunden in seinem Auto nach Holland gefahren sei und sie dort legal Rauschmittel im Übermaß konsumiert und noch unter Drogen die Grenze passiert (Gemüt – Tollkühnheit, Verwegenheit) hätten. An der Grenze sind sie von der deutschen Polizei festgenommen, durchsucht und für einige Zeit zum Ausnüchtern festgehalten worden. Für Anton sei diese Situation nicht nur ein großer Schreck gewesen (Schlaf – Schlaflosigkeit – Schreck, nach), sondern auch durch die Freiheitsbeschränkung sehr angstbesetzt (Gemüt – Beschwerden durch – Angst). Die Mutter hatte das Gefühl, dass dies unbewusst für Anton eine Art Mutprobe gewesen sei, um sich seinen großen Brüdern ebenbürtig zu erweisen. Es muss aber ein großer Schock für ihn gewesen sein, als die Polizei ihn in Gewahrsam nahm Die Konsequenzen seines Handelns schien er nicht überblickt zu haben. Die Situation, in der er sich nach dem Kater wiederfand, war nicht gerade angenehm für ihn und er schämte sich, sodass er kaum mit seinen Eltern darüber sprechen konnte.

Verordnung: Opium C 200
Anton konnte bald wieder normal schlafen und sich gemeinsam mit seinen Eltern verantwortungsvoll mit der Situation, ihren Folgen und dem Missbrauch von Rauschmitteln auseinandersetzen. Seine Mutprobe lehrte ihn, eigenverantwortlich für sein Tun einzustehen.

Drogenexperimente

Regelmäßiger Drogenkonsum führt zu einer „Mir-ist-alles-egal-Haltung“ und hebt in der Regel die Wirkung des homöopathischen Heilmittels wieder auf. Einen Jugendlichen aus seiner Sucht zu befreien, braucht mit Sicherheit neben der homöopathischen Begleitung die Mitarbeit der Eltern, Sozialarbeiter oder Psychotherapeuten.
Alte Kulturen wussten noch um die Magie des Übergangs in die Welt der Erwachsenen. Initiationsriten, die auf die Mannwerdung vorbereiteten, sind in Vergessenheit geraten. Kämpfe und Mutproben gehörten für Jugendliche dazu, damit ihre Kraft in die richtigen Bahnen gelenkt werden konnte. Leider fehlt in der heutigen Zeit größtenteils die angemessene Unterstützung. Und so probieren junge Leute, die leicht mit Drogen verführt werden können, mit diesen Mitteln zu beweisen, dass sie erwachsen sind oder es werden wollen. Es vermittelt ihnen das Gefühl von Dazugehörigkeit. Sie können aber die daraus erwachsenden Probleme für ihr Leben noch gar nicht überblicken. Erfahrungen können wir nicht vererben, jeder junge Mensch muss sie selber machen. Es gibt bei Heranwachsenden eine spezielle Arroganz, eine Art Gefühl von Unsterblichkeit, die sich allerdings durch Lebenserfahrung in Reife verwandeln kann.

Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen – 14-jähriger Junge

Der 14-jährige Michael war leicht adipös, er hatte große, braune Augen und sehr dichtes, glänzendes Haar. Michael ist ein sehr sensibler Junge. Die Eltern leben schon lange getrennt. Die Mutter litt unter schweren Depressionen, der Vater war aus geschäftlichen Gründen oft abwesend. Michael war acht Jahre alt, als sich die Eltern endgültig trennten. Die Beziehung war aber durch die Krankheit der Mutter und den Alkoholkonsum des Vaters lange vorher brüchig geworden. Michael hatte eine Leseschwäche und ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Mit Hilfe von Lycopodium, das ihm neun Monate zuvor in der XM verordnet worden war, hatte er einen Entwicklungssprung gemacht: Er wurde mutiger, unabhängiger und selbstständiger, verabredete sich mit Freunden und wirkte im Ganzen zufriedener. Jetzt kam er wegen seiner Kopfschmerzen. Außerdem hatte sich seine Konzentrationsfähigkeit verschlechtert und das Lesen fiel ihm schwer. Am liebsten las er gar nicht, sondern ließ sich vom Vater vorlesen (Gemüt – Lesen – Abneigung gegen Lesen). In schulischen Belangen hatte er überhaupt keinen Ehrgeiz (Gemüt – Ehrgeiz – Verlust von). Als ich ihn fragte, ob es etwas gebe, was ihn traurig mache, antwortete er mir zum ersten Mal ehrlich und offen: „Dass ich nicht ganz bei Papa wohnen darf!“ Sein Vater lebte inzwischen mit einer anderen Frau und ihrem gemeinsamen Baby zusammen. Seinen kleinen Bruder liebte er sehr. Auch mit der neuen Partnerin seines Vaters kam er gut zurecht, sodass er wirklich unglücklich darüber gewesen war, dass sich sein Wunsch nicht erfüllen ließ (Gemüt – Beschwerden durch – unglücklich sein).

Verordnung: Natrium carbonicum in ansteigenden Potenzen
Die Mutter berichtete von einer heftigen Erstverschlimmerung, bei der er bockte und einen gewaltigen Wutausbruch bekommen hätte. Er wollte nicht mehr leben und weinte heftig. Der Schmerz hatte nun seinen Weg gefunden. Eine Woche nach der Mitteleinnahme bestanden keine Kopfschmerzen mehr. Michael wurde viel fröhlicher und offener. Die Mutter berichtete, sie habe ihn noch nie so frech erlebt! Er alberte sogar mit ihren Freundinnen, dafür sei er sonst immer viel zu scheu gewesen. Michael kommt immer noch von Zeit zu Zeit zur Behandlung. Auf Ritalin konnte bis jetzt verzichtet werden.

Natrium carbonicum bei Jugendlichen

Die Überempfindlichkeit der Natrium carbonicum-Kinder führt zu einer großen Verletzlichkeit, sobald die Familienverhältnisse instabil werden, denn sie entwickeln sich am besten, wenn sie in einer stabilen und sicheren Familienkonstellation aufwachsen. Sie brauchen in ihrem Leben eine große Sicherheit, dass die Umstände und Regeln von heute auch morgen noch gelten. Häufige Umzüge und Verlust von Freunden und Angehörigen führt zu einem tiefen, stillen Kummer, der ihr Leben und ihre Entwicklung überschattet. Diese Kinder lieben Routine und übernehmen ganz selbstverständlich kleine Aufgaben die man ihnen überträgt. Sie haben Freude daran, die Erwartungen der Eltern zu erfüllen und genießen es, dafür gelobt zu werden. Macht man ihnen Vorwürfe, strengen sie sich noch mehr an, alles gut und richtig zu machen. Sie vertragen keinen Widerspruch und sind sehr frustriert, wenn ihre Bemühungen nicht anerkannt werden.
Eher scheu und schüchtern, passen sie sich dem Schulalltag und der Umwelt an. Ihre Reaktionen auf Neues sind langsam und sie brauchen Zeit, um über eine Idee oder Sache nachzudenken. Darin unterscheiden sie sich deutlich vom schnellen Sulfur-Kind. Natrium carbonicum-Kinder reagieren auch in der Pubertät sehr empfindlich auf das emotionale Klima in Familie und Schule. Sie somatisieren schnell bei Stress mit Kopf- oder Bauchschmerzen. Schon der Wechsel eines Lehrers mitten im Schuljahr kann sie aus der Bahn werfen.

Warzen im Genitalbereich – 16-jähriger Junge

Der 16-jährige Jan war sehr groß und schlank, ein hübscher Junge, ausgesprochen klug, mit der Gabe, analytisch denken zu können (Gemüt – Denken – analytisches Denken – Fähigkeit zum analytischen Denken). Auffallend war auch sein äußerst modischer Haarschnitt. Jan besuchte das Gymnasium, sein Traumberuf ist Journalist. „Jan hat Warzen auf seinem Penis (männliche Genitalien – Kondylome)!“, berichtete die Mutter am Telefon, „und will auf keinen Fall zum Arzt gehen. Er hat Kummer, weil ein Mädchen ihn zurückwies, in das er verliebt ist“ (Gemüt – Beschwerden durch – Ablehnung, Zurückweisung).Seit diesem Ereignis habe sie große Schwierigkeiten mit ihm. Er scheint auch sie abzulehnen (Gemüt – Abneigung – Mutter, gegen die). „Das ist ja normal in der Pubertät,“ meinte die Mutter, aber im Moment wäre es ziemlich schlimm. Im Gespräch mit mir vermied Jan den Blickkontakt und schaute an mir vorbei seitlich auf den Boden. Ich erwähnte die Warzen rein sachlich und fragte nach Besonderheiten, ob sie z. B. bluten, wehtun oder brennen würden. „Nein, nichts von dem. Sie sind schmerzlos gewachsen und werden immer mehr.“ Ein Gefühl von Peinlichkeit entstand, etwas nicht Greifbares, als laste eine große Bedrückung auf ihm. Er war misstrauisch und erzählte nicht wirklich, wie es in ihm aussah. Seine Haut hatte eine gelbliche Farbe, außerdem hatte er viele braune Leberflecken. Ängste und Träume würden keine bestehen, manchmal habe er etwas Kopfschmerzen, aber sonst fühle er sich gut.

Verordnung: Thuja C 200.
Innerhalb der nächsten sechs Wochen verheilten die Warzen. Mir wurde nicht klar, was ihn so bedrückte, was in seinem Leben passiert war. Das Heilmittel jedoch hat hervorragend gewirkt.

Thuja bei Jugendlichen

Die Kindheit vieler Thuja Menschen ist durch Einsamkeit und Vernachlässigung geprägt. Wie die Sümpfe, in denen der Baum wächst, mangelt es auch den Kindern an Wärme, emotionaler Sicherheit und Zuwendung. Die innere Einsamkeit kann durch Intellektualisierung maskiert sein. Aus Gründen, die diese Kinder nicht verstehen konnten, wurden sie von ihren Eltern abgewiesen und jede neue Abweisung konfrontiert sie mit dem tiefen Schmerz in ihrem Innersten. Sie haben gelernt, ihre Gefühle für sich zu behalten und haben deswegen viele Geheimnisse zu hüten.

Verhaltensauffälligkeit – 13-jähriger Junge

Der 13-jährige Mark war aufgrund seiner Neurodermitis kontinuierlich ca. einmal jährlich in homöopathischer Behandlung. Calcium carbonicum und Tuberkulinum waren seine Heilmittel. Die Mutter ruft mich an, weil sie vor dem Behandlungstermin alleine mit mir sprechen möchte, da es zuhause viel Stress zwischen Vater und Sohn gebe.
Mark stand unter dem väterlichen Druck, sich für die Schule anstrengen zu müssen. Das machte ihm arg zu schaffen. Infolgedessen wollte er mit niemanden mehr etwas zu tun haben. „Er ist eigentlich ziemlich faul“ (Gemüt – Faulheit – Kindern, bei), berichtete die Mutter, „am liebsten sitzt er vor dem Computer und spielt (Gemüt – Computer – liebt ), er hat gar keinen Ehrgeiz mehr, in der Schule irgendwelche Leistungen zu erbringen.“ Die Mutter befürchtete, dass er die Klasse wiederholen müsse (Gemüt – Ehrgeiz – Verlust von). Auch an Familientreffen habe er kein Interesse mehr (Gemüt – Beachtung; schenkt allgemeinen Regeln keine), er möchte lieber allein sein und reagiere genervt, wenn er angesprochen oder gerufen werde (Gemüt – angesprochen zu werden – Abneigung – allein gelassen werden; möchte). Die Schularbeiten kämen dabei einfach zu kurz. Das Einzige, wozu er außer dem Spielen am Computer Lust habe, sei, mit seinen Freunden unterwegs zu sein. Er würde manchmal nach Nikotin riechen und mit seinen Freunden gewiss auch Alkohol trinken (Gemüt – Amüsement, Vergnügen – Verlangen nach). Der Grund ihres Anrufes sei aber, dass er Wände und Boden des Badezimmers mit Stuhl beschmiere. Sie habe den Eindruck, als würde er geringe Mengen einkoten und die verschmutze Unterhose verstecken. Sie fühle sich mit dieser Situation überfordert und es war ihr peinlich, darüber zu sprechen (Gemüt – Fäzes – setzt Fäzes auf den Boden ab). Sie wollte mir dies aber unbedingt vorher mitteilen, bevor Mark zum Termin käme. Sie habe versucht, mit ihm darüber zu sprechen, er aber entziehe sich immer wieder und tue so, als würde er nicht wissen, worum es gehe.
Im Gespräch bei mir erwähnte Mark von all dem nichts. Sein auffälliges Verhalten erschien mir wie eine unbewusste Trotzreaktion auf den Vater. Vielleicht könnte man körpersprachlich auch sagen: Ich scheiße auf den Druck des Erwachsenwerdens! Mark erzählte in einer müden Null-Bock-Haltung, dass er Schmerzen im linken Fuß habe. Als ich nach Ängsten fragte, lächelte er etwas überheblich und meinte: „Ja, Angst vor Hunden habe ich schon“ (Gemüt – Furcht – Hunden, vor). Dann erzählte er einen Traum, in dem die Schule brannte (Träume – Feuer).

Verordnung: Sulphur C 1000.
Die Mutter berichtete nach einigen Wochen, dass die Stuhlschmierereien aufgehört hätten. Ansonsten gebe es immer noch Auseinandersetzungen mit dem Vater. Doch sind Ablösungsprozesse und Revierkämpfe Bestandteil der Pubertät. Sie müssen nicht durch ein Heilmittel verschwinden, sie sollten nur durch das korrekte Heilmittel konstruktiver werden.

Ein Jahr später kam er wieder in die Praxis, erschöpft und müde. Calcium carbonicum in der XM half ihm in der nächsten Wachstumsphase. Er verlor viel Körpergewicht und schoss in die Höhe. Nach zahlreichen Bewerbungsschreiben und vielen Absagen für einen Beruf, den der Vater sich für ihn wünschte, entschied Mark sich für einen Beruf, der ihm selbst zusagte.

Sulphur bei Jugendlichen

Sulphur-Jugendliche haben in ihren Familien gelernt, dass Beziehungen durch Macht bestimmt werden und das schafft in diesem Fall die Basis für die Entwicklung von Konkurrenzverhalten in der Beziehung zwischen Vater und Sohn .Schnell lernen sie, wie ihre Eltern reagieren und spielen bei den Machtspielen im Familiensystem mit. Wenn die Eltern versuchen Kontrolle über sie auszuüben, rebellieren sie! Instinktiv wissen sie, wie sie die Eltern schockieren können und dadurch Macht über sie gewinnen: Rauchen, Bier trinken, sich in der Schule verweigern – die hilflosen Eltern geben den Wünschen der Jugendlichen nach, in der Hoffnung, dass diese ihr negatives Verhalten beenden. Doch diese Hoffnung wird meist nicht erfüllt, denn für den Heranwachsenden würde Nachgeben Machtverlust bedeuten. Sulphur-Jugendliche schützen sich selbst vor Demütigungen und bekämpfen ihre Minderwertigkeitsgefühle, indem sie ihre Machtstellung halten. Durch die Manipulation ihrer Eltern sichern sie sich eine ganz besondere Rolle in der Familie, denn sie bekommen die gesamte Aufmerksamkeit und das gibt ihnen ein Gefühl in der überlegenen Position zu sein. Für die Gefühle anderer Menschen sind sie nicht empfänglich, sie haben sich schon das so genannte dicke Fell zugelegt.

Beginnende Anorexia nervosa – 12-jähriges Mädchen

Cerrin war 12 Jahre alt und seit ihrem zweiten Lebensjahr in homöopathischer Behandlung. Sie litt an rezidivierenden Infekten, später an Verhaltensauffälligkeiten, weil die Scheidung der Eltern sie sehr mitgenommen hatte. Die Mutter erzog ihre beiden Mädchen alleine, der Vater kümmerte sich mäßig. Die Mutter ist Akademikerin mit hohen Erwartungen an ihre Kinder. Sie war streng und dominant (Gemüt – Beschwerden durch – Bevormundung – Kindern, bei – elterlicher Bevormundung; bei langer Geschichte übermäßiger). Wichtige Mittel für Cerrin waren in unterschiedlichen Lebensphasen Calcium carbonicum, Hyoscyamus, Pulsatilla, Natrium carbonicum und Phosphorus.
Die Mutter kam mit den Kindern immer mal wieder zur Behandlung. Nachdem ich sie lange nicht gesehen hatte, stellte ich bei einem Besuch in der Praxis fest, dass Cerrin ein sehr hübsches Mädchen geworden war. Sie hatte lange, hellbraune Haare (Allgemeines – Aussehen – braune Haare) mit großen, dunklen Augen und einer einem Milchkaffee ähnelnden Hautfarbe (Gesicht – Farbe – braun – Milchkaffee; wie). Aber sie war viel zu dünn! Deutliche Zeichen einer Anorexia nervosa waren sichtbar (Gemüt – Anorexia nervosa). Die Anorexie war auch der Anlass zur Behandlung. Zunächst führte ich die Anamnese mit beiden durch, was aber aufgrund der Spannungen zwischen Mutter und Tochter nicht lange möglich gewesen war. Cerrin und ich gingen in den Nebenraum und die Mutter verabschiedete sich mit ziemlich unfreundlichen Worten. Cerrin erzählte lächelnd von den vielen Einschränkungen durch die Mutter. Sie fand ihre Mutter einfach doof. Zurzeit verbot sie ihr fast alles: Fernsehen, PC-Spiele, sogar das Handy habe sie ihr weggenommen (Gemüt – Beschwerden durch – Bestrafung – Kindern; bei). Cerrin sprach nicht davon, was wirklich los gewesen war und warum ihre Mutter in einer Bestrafungsaktion ihr die liebsten Dinge genommen hatte. Auf meine Frage, ob sie den ganzen Tag Konflikte habe, dachte sie erst nach und meinte: „Nein, im Moment bin ich sehr nett zu ihr, weil ich am Wochenende auf eine Party zu meiner Freundin gehen will.“

Verordnung: Carcinosinum C 1000
Als ich Cerrin sechs Monate später wieder sah, hatte sie gut an Gewicht zugenommen und wirkte insgesamt entspannter und ausgeglichener. Auch ihre Beziehung zur Mutter sei nicht mehr so konfliktreich, berichtete sie. In diesem Fall war die Gefahr einer ausgeprägten Pubertätsmagersucht gebannt. Selten konnte ich eine Pubertätsmagersucht so schnell homöopathisch positiv beeinflussen. Möglicherweise hat aber die jahrelange vorhergegangene homöopathische Begleitung einen guten Boden bereitet für die schnelle und anhaltende Wirkung des homöopathischen Mittels. Jede Sucht, auch die Magersucht, ist immer eine Flucht vor nicht aushaltbaren Gefühlen. Diese müssen in jedem Fall angeschaut, verarbeitet und gefühlt werden. Dazu ist in der Regel eine einfühlsame Begleitung eines Psychotherapeuten nötig.

Ein anderes Mädchen, das ich bei einem solchen Krankheitsbild über Jahre begleitete, wurde stationär aufgenommen und in der Klinik psychotherapeutisch behandelt. Eltern dieser Kinder befinden sich nach Monaten oder gar Jahren, in denen sie um das Leben ihres Kindes fürchten, oft am Rande ihrer nervlichen Belastungsmöglichkeit. Schon deshalb kann für beide Parteien ein Klinikaufenthalt sinnvoll sein, wenn der Heranwachsende es befürwortet.

Pubertätsmagersucht

Pubertätsmagersucht ist eine lebensbedrohliche Krankheit. Eine Prognose zu stellen ist schwierig, denn die Arbeit mit Suchtpatienten ist mühselig und oft von vielen Rückschritten begleitet. Oft verweigern sich diese Mädchen dem Frau-Sein mit der ganzen Verletzlichkeit, die in ihnen wohnt. Durch Hungern bekommen sie scheinbar Energie, weiche Formen können sich nicht ausbilden, die Regel bleibt aus, das Wachstum stagniert und die Mädchen träumen davon, ewig Kinder bleiben zu können. Der Gewichtsverlust entsteht, indem der junge Mensch sich die Nahrungsaufnahme verbietet oder hochkalorische Nahrung meidet. Nehmen sie wenige Gramm zu, kann es sein, dass sie erbrechen oder Abführmittel nehmen, die körperlichen Aktivitäten noch mehr steigern oder zu Appetitzüglern oder Diuretika greifen. Alles dreht sich ums Essen und um das Gewicht! Das beständige Kreisen um sich selbst gipfelt in der Frage: „Darf ich noch etwas essen oder nicht?“ Essen sie normal, fühlen sie sich schwer und müde, was sie auf jeden Fall vermeiden wollen. Zwar wollen sie nicht essen, sind aber ständig in Gedanken damit beschäftigt. Sie wollen selbstständig und unabhängig sein, zwingen aber durch die Krankheit andere Menschen dazu, sich um sie zu kümmern. Beginnt die Erkrankung vor der Pubertät, ist auch die Abfolge der pubertären Entwicklung gestört. Fast immer war bei diesen hübschen, hoch intelligenten und ehrgeizigen Mädchen eine massive Verunsicherung ihrer Lebensumstände vorhanden.

Die unten angegebenen Rubriken nutze ich bei Essstörungen, versuche aber immer, die Persönlichkeit des Mädchens oder in ganz seltenen Fällen die des Jungen, zu verstehen. Träume waren mir auch bei diesen Krankheiten die wichtigsten Wegweiser.

Gemüt – Anorexia nervosa
arb-m. arg-n. ars. asar. aur-m-n. aur. bacls-10. brucel. caesal-b. calc. cann-i. carc. chin. chinin-s. chlorpr. coca coli. cycl. des-ac. diphtox. enteroc. ferr. gent-l. gent-q. germ-met. hir. ign. influ. interf. kali-p. lac-f. lach. lat-h. lat-m. levist. levo. lob-c. loxo-lae. loxo-recl. med. merc. nat-m. nat-p. perh. pert. ph-ac. phos. plat. prun-v. puls. rhus-t. sacch. sep. sil. staph. sulph. syc. tarent. tetox. thuj. tub-a. tub-d. tub-m. tub. v-a-b. vanad. verat. verat.

Gemüt – Essen – weigert sich zu
anac. ant-c. apis ars. astra-m. bar-c. bell. borx. carc. caul. caust. chin. cocc. croc. des-ac. grat. hell. hyos. Ign. kali-bi. kali-br. kali-chl. Kali-m. kali-p. lach. malar. morg-p. op. paull. ph-ac. phyt. plat. puls. rhus-t. sep. spong. stann. sulph. tarant. verat. Viol-o. zinc-chr.

Verhaltensauffälligkeit – 14-jähriger Junge

Silvio war schon seit seiner Geburt in homöopathischer Begleitung. Die Eltern behüteten ihn und seinen Bruder sehr. Er ist der Jüngste und wurde von beiden Eltern sehr verwöhnt. Für die Mutter war er ein Traumjunge: charmant, witzig, geistreich. Alle liebten ihn. Wenn er aus seinen großen grünen, strahlenden Augen die Lehrer anschaute, schmolzen auch diese dahin. Mir ging es nicht anders. Sein Heilmittel war Phosphorus. Er war ein überaus aktiver Junge, gut in der Schule, spielte Handball, Fußball und war im Ruderverein. Er war immer unterwegs, immer in Kontakt mit Menschen, immer bemüht, noch mehr Liebe zu bekommen. Ein wirklich guter Junge, der aber mit Eintritt in die Pubertät plötzlich zu nichts mehr Lust hatte und nur noch zu Hause rumhing. Er legte die Rolle des lieben Jungen ab!
Im Alter von 12 Jahren bekam er für seine große körperliche Schwäche Acidum phosphoricum C 1000 und sechs Monate später das gleiche Mittel als XM.

Ein Jahr später, in der Zeit, als er sich vorwiegend von Pizza, Cola und Süßigkeiten ernährte, gab ich ihm Calcium carbonicum C 1000, weil er erheblich an Gewicht zugelegt hatte und auch keinerlei sportliche Aktivitäten mehr unternahm. Sechs Monate später rief die Mutter an und berichtete, ihr Sohn, jetzt 14 Jahre, habe plötzlich Ängste entwickelt und immer Durchfall, wenn er zur Schule gehen müsse (Gemüt – Furcht – Diarrhoe – Furcht, mit). Er sei auch ein bisschen verrückt geworden, meinte sie, und so ruhelos (Gemüt – Aktivität – ruhelos). Er renne albern durch das Haus und schreie wie ein Gecko. So etwas habe sie bei ihm noch nicht erlebt. Außerdem, und das wäre ihr wirklich peinlich, laufe er immer öfter nackt durchs Haus (Gemüt – nackt sein, möchte), komme dann zu ihr, zeige seine nackten Genitalien, schleudere seinen Penis vor ihren Augen hin und her und frage sie, ob der nicht wunderschön sei (Gemüt – Impulse, Triebe; krankhafte – sexuelle Impulse). Sie müsse ihm, wenn er auf dem Sofa liege, oft den Rücken kraulen – und dazu habe sie einfach keine Lust mehr! Er sei aber sehr fordernd und auch sonst sehr bestimmend. Andererseits sei er auch stolz geworden und mache viele Scherze.

Was denn los gewesen wäre, fragte ich sie. Es gebe halt Streitereien mit dem Vater, weil er so faul sei. Er war ja immer ein besonders tolles Kind, das die Erwartungen des Vaters durch sportliche und schulische Leistungen bei Weitem übertraf. Und jetzt täte er gar nichts mehr (Gemüt – Beschwerden durch – Streit, Streitigkeiten – Vater; mit dem). Auch an ihrer Situation habe sich etwas verändert. Sie habe ein kleines Geschäft übernommen und sei den ganzen Tag nicht mehr zu Hause. Ihre Jungen wären jetzt groß genug, die müssten auch mal lernen, mit sich selbst zurechtzukommen.

Verordnung: Veratrum album in der C 200 beseitigte den Durchfall und auch die Verhaltensstörungen von Silvio.

Veratrum album gehört zur Familie der Liliengewächse. Als Thema wird dieser Pflanzenfamilie allem das Gefühl zugeordnet: „Sie haben kein Interesse an mir“. Die stabile Familiensituation veränderte sich und im Prozess der pubertären Entwicklung hatte der Junge nicht genügend Kraft, diesen neuen Zustand ohne Hilfe zu verarbeiten.

Zurück zu Veröffentlichungen